Ein Planet wird geplündert: Unterschied zwischen den Versionen

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:Herbert Gruhl, Frankfurt a. M.: Fischer 1975.
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Das Buch des damaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Herbert Gruhl wurde 1975 zum Bestseller. Es stand auf einer Wetterscheide und faßte zusammen, was in zwei Wellen sich steigernd schon in den fünfziger Jahren Reinhard Demoll oder Annie Harrar-France skizziert hatten und was dann im Bericht an den Club of Rome von 1972 unter dem Titel ''Grenzen des Wachstums'' Furore gemacht hatte: Was wir gewohnt waren, als Fortschritt zu bezeichnen, läßt sich nicht nur nicht fortsetzen, sondern führt direkt in die Katastrophe. Im Hintergrund stand die Frage: Wie ist in einer endlichen Welt unendliches Wachstum denkbar? »Man muß verrückt oder Ökonom sein, um darin kein Problem zu sehen.« Dies war ein geflügeltes Wort der Gruppe, der Gruhl als politisches Sprachrohr und Hoffnungsträger diente, nämlich der 1972 gegründeten Gruppe Ökologie, der u. a. Konrad Lorenz, Bernhard Grzimek und Horst Stern angehörten.
 
Das Buch des damaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Herbert Gruhl wurde 1975 zum Bestseller. Es stand auf einer Wetterscheide und faßte zusammen, was in zwei Wellen sich steigernd schon in den fünfziger Jahren Reinhard Demoll oder Annie Harrar-France skizziert hatten und was dann im Bericht an den Club of Rome von 1972 unter dem Titel ''Grenzen des Wachstums'' Furore gemacht hatte: Was wir gewohnt waren, als Fortschritt zu bezeichnen, läßt sich nicht nur nicht fortsetzen, sondern führt direkt in die Katastrophe. Im Hintergrund stand die Frage: Wie ist in einer endlichen Welt unendliches Wachstum denkbar? »Man muß verrückt oder Ökonom sein, um darin kein Problem zu sehen.« Dies war ein geflügeltes Wort der Gruppe, der Gruhl als politisches Sprachrohr und Hoffnungsträger diente, nämlich der 1972 gegründeten Gruppe Ökologie, der u. a. Konrad Lorenz, Bernhard Grzimek und Horst Stern angehörten.

Aktuelle Version vom 15. Juli 2019, 06:52 Uhr

Ein Planet wird geplündert. Die Schreckensbilanz unserer Politik,
Herbert Gruhl, Frankfurt a. M.: Fischer 1975.

Das Buch des damaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Herbert Gruhl wurde 1975 zum Bestseller. Es stand auf einer Wetterscheide und faßte zusammen, was in zwei Wellen sich steigernd schon in den fünfziger Jahren Reinhard Demoll oder Annie Harrar-France skizziert hatten und was dann im Bericht an den Club of Rome von 1972 unter dem Titel Grenzen des Wachstums Furore gemacht hatte: Was wir gewohnt waren, als Fortschritt zu bezeichnen, läßt sich nicht nur nicht fortsetzen, sondern führt direkt in die Katastrophe. Im Hintergrund stand die Frage: Wie ist in einer endlichen Welt unendliches Wachstum denkbar? »Man muß verrückt oder Ökonom sein, um darin kein Problem zu sehen.« Dies war ein geflügeltes Wort der Gruppe, der Gruhl als politisches Sprachrohr und Hoffnungsträger diente, nämlich der 1972 gegründeten Gruppe Ökologie, der u. a. Konrad Lorenz, Bernhard Grzimek und Horst Stern angehörten.

»Die Vorbereitung auf eine stabile Raumschiff-Wirtschaft erfordert die gleiche Intensität wie die Vorbereitung auf einen großen Krieg.«

Gruhl faßt als Politiker, genauer Oppositionspolitiker, in seinem Buch die Fakten und Prognosen zusammen, die die damalige Diskussion bestimmten. Er war als Vertreter bäuerlicher Interessen 1969 in den Bundestag gewählt worden, gerade in dem Augenblick, als die Regierung Brandt und vor allem Innenminister Genscher das Umweltthema mit Stichworten wie Planung und Lebensqualität zu besetzen verstanden. Ausgerechnet ein Konservativer wies darauf hin, daß diese Fragestellungen gar nicht an die Dimension der Veränderung heranreichten, um die es ging. Und er verschwieg nicht, daß die Zeit knapp war und die herkömmlichen Politikabläufe wenig Hoffnung boten, daß die Fragen wirklich angegangen würden. Der junge CDU-Chef Kohl ließ es weder vor noch nach Erscheinen des Bestsellers zu einem Gespräch kommen. Dagegen erklärte Gerhard Stoltenberg, damals Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, die Debatte zwar für wichtig, betonte aber gleichzeitig seinen »Glauben«, daß es zum Wachstum keine Alternative gebe. Spätere Reuebekundungen aus der Union bezogen sich nicht auf eine erkannte moralische Schuld gegenüber der viel beschworenen Zukunftsfähigkeit, sondern auf das Verpassen einer taktischen Chance.

Das Buch ist heute vor allem deshalb noch bedeutend, weil es zusammen mit seinen wesentlich weniger gelesenen Nachfolgern, Das irdische Gleichgewicht (1982) und Himmelfahrt ins Nichts (1992), zwar nicht zum ersten, sondern eher zum letzten Mal die volle Dimension der ökologischen Frage thematisiert. Es wagt anzusprechen, daß es mit der heutigen Zahl von Menschen keine Lösung gibt. Gruhl führt daher als wichtigstes Ziel die Reduzierung der Bevölkerung durch Senkung der Geburten an, was er für die einzig vertretbare Option hält. Dieser Vorschlag wurde von linken und auch von sich christlich nennenden Kritikern als menschenfeindlich und ökodiktatorisch diffamiert. Dabei wurde nicht verstanden, daß er dies für nötig hielt, eben weil er sich nicht von den Ideen prinzipieller Gleichheit und Gerechtigkeit verabschieden wollte.

Aus heutiger Sicht mag es sogar als historisch sinnvoll erscheinen, daß Gruhls Ansätze gescheitert sind. Seine Vorschläge waren technizistischer Natur und beinhalteten keine radikale Überwindung der Moderne, sie waren noch im alten Sinn Konservativismus unter Notstandsbedingungen, aber nicht Revolution aus traditionsschützendem Geist. Gruhls Scheitern betrachteten die Linken als ihren Erfolg, so daß sie die ökologische Frage links verorten konnten. Seitdem wird die Frage nur thematisiert, wenn sie nicht im Kleinen lösbar scheint oder »Ökoprofit« verspricht. Gruhl hatte dagegen durchaus erkannt, daß es sich bei der Ökologie um ein kulturelles und nicht ein materielles Problem handelt. Der Mensch ist nicht in seiner Existenz (Quantität) bedroht, sondern in seiner Qualität.

Ausgabe

  • Letzte Taschenbuchausgabe, Frankfurt a. M.: Fischer 1994.

Literatur

  • Volker Kempf: Herbert Gruhl – Pionier der Umweltsoziologie. Im Spannungsfeld von wissenschaftlicher Erkenntnis und politischer Realität, Graz 2008.
Der Artikel wurde von Reinhard Falter verfaßt.