Der Begriff des Politischen: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 14. Dezember 2016, 21:16 Uhr

Der Begriff des Politischen.
Carl Schmitt, Berlin: Duncker & Humblot 1932.

Carl Schmitt geht es in seiner Abhandlung Der Begriff des Politischen – zuerst 1927 als Aufsatz veröffentlicht – darum, einen Ausgangspunkt für die Annäherung an die politischen Phänomene seiner Zeit zu schaffen. Seine hier vorgenommene Begriffsbestimmung des Politischen ist daher eng mit der damaligen Lage Deutschlands verknüpft, die sich mit den Schlagworten Versailles, Reparationsfrage und Rheinlandbesetzung umschreiben lässt.

Schmitt setzt dabei nicht zu einer inhaltlichen Definition des Politischen an, wie sie etwa Max Weber formuliert hat. Er betrachtet es vielmehr als Kriterium, das Begriffen wie Staat, Volk oder Krieg zugrunde liegt, und ohne welches sie nicht in ihrer vollen Bedeutung verstanden werden können. Das Politische hat für ihn seinen Sinn in der existentiellen Unterscheidung von Freund und Feind, der den Gegensätzen von Gut und Böse im Bereich der Moral und von Schön und Häßlich in der Ästhetik entspricht. Die Eigenständigkeit des Politischen ergibt sich daraus, daß seine Kriterien keinen dieser anderen Gegensätze voraussetzen. Ein Feind muß weder moralisch böse noch häßlich sein. Der Begriff »Feind« darf nicht dahingehend mißverstanden werden, daß mit ihm automatisch eine gefühlsmäßige Abneigung verbunden ist (auch wenn es oft zusammen auftritt). Es muß hier, so Schmitt, zwischen dem öffentlichen und damit politischen Feind, hostis, und dem privaten Intimfeind, inimicus, unterschieden werden.

Dem Politischen ist eine besondere Dynamik eigen, die darin besteht, daß jeder Gegensatz – ob religiös, sozial oder ökonomisch – sich in einen politischen verwandeln kann, wenn er eine Intensität erreicht, die eine Feindbestimmung ermöglicht. Es kommt lediglich auf den Willen einer politischen Einheit an, sich in ihrem existentiellen Sein zu behaupten. Schmitts Definition des Politischen zeichnet sich dadurch aus, daß sie nicht von einer Gleichsetzung der Begriffe Staat und Politik ausgeht. Der Staat ist demnach nur eine unter bestimmten historischen Umständen entstandene Form politischer Organisation, die nicht als absolut angesehen werden darf. So können auch religiöse Gemeinschaften und soziale Klassen zu Einheiten mit politischem Charakter werden, wenn sie ausreichend Kraft besitzen, ihren Feind zu bestimmen, und sich auch tatsächlich in der Lage befinden, Krieg gegen ihn zu führen. Nach Schmitt ist eine echte politische Einheit nämlich stets am Ernstfall, der Möglichkeit des Krieges, orientiert und damit souverän. Die existentielle Bedeutung der Politik läßt sich letztlich daraus ableiten, daß sie die physische Vernichtung des einzelnen als äußerste Möglichkeit stets beinhaltet. Zum Politischen gehört grundsätzlich etwas Bedrohliches, das auf den Ausbruch eines Konfliktes hinwirkt. Das Verdienst des Staates als Produkt der Glaubenskriege des 16. und 17. Jahrhunderts ist die Befriedung innerhalb eines Territoriums. Durch seinen Niedergang ist diese Sicherheit jedoch Vergangenheit, und die politischen Gegensätze können sich, ohne eine Einhalt gebietende Instanz, ungehindert entfalten. Ein »Weltstaat« kann dieser Entwicklung nicht entgegentreten, weil er ein Widerspruch in sich ist. Eine universale, die gesamte Menschheit umfassende Einheit kann es erst geben, wenn das Politische und damit auch die Möglichkeit eines politischen Gegensatzes nicht mehr existiert.

Das Politische muß als ein unumgängliches Faktum betrachtet werden, dem kein Volk entgehen kann. Einem Kollektiv, das sich nicht mehr behaupten will oder kann, weil es nicht mehr in der Lage ist, seinen wirklichen Feind zu bestimmen, wird unweigerlich eine fremde Feindbestimmung aufgezwungen werden. Diese Unterwerfung geschieht laut Schmitt häufig durch die Propagierung humanitärer Ideale, welche die wahre Machtkonstellation dahinter verschleiern sollen. Es ist also notwendig, solche moralisierenden Vernebelungen zu durchschauen, um den wahren Feind zu erkennen.

»Dadurch, daß ein Volk nicht mehr die Kraft oder den Willen hat, sich in der Sphäre des Politischen zu halten, verschwindet das Politische nicht aus der Welt. Es verschwindet nur ein schwaches Volk.«

Die Beschwörung des Wohles der Menschheit gehört auch heute zum Standardvokabular derjenigen, die ihre Macht sichern oder erweitern wollen. Doch die Menschheit kann kein politisches Subjekt sein, weil es für sie keine Feindbestimmung geben kann: »Wer Menschheit sagt, will betrügen.« Schmitt betont damit den polemischen Charakter politischer Begriffe. Diese haben nur vor dem Hintergrund konkreter politischer Gegensätze einen Sinn. Mit Bezug auf die Lage nach dem Ersten Weltkrieg erwähnt er die innerdeutsche Debatte darüber, ob die nach der Niederlage von Deutschland erzwungenen Zahlungen an Frankreich als »Reparationen « oder »Tribute« bezeichnet werden sollten, was einer jeweils unterschiedlichen politischen Stellungnahme gleichkommt.

Schmitt weist darauf hin, daß jeder politischen Idee – bewußt oder unbewußt – stets ein bestimmtes Menschenbild zugrunde liegt. Der Liberalismus geht von der Güte des Menschen aus und hält somit die Gesellschaft für maßgebend, während der Staat lediglich geduldet wird. Er verneint ihn nicht völlig, wie dies konsequenterweise der Anarchismus tut, kann ihn aber nicht als Grundlage der Ordnung allen menschlichen Lebens anerkennen. Dagegen muß eine echte politische Theorie den Menschen stets als »böse« voraussetzen, sich zumindest seines schwankenden, problematischen Charakters bewußt sein, um die Möglichkeit eines Gegensatzes von Freund und Feind nicht zu übersehen. Der Liberalismus erhält seine Legitimation nicht nur aus dem Bereich der Moral, sondern auch dem der Ökonomie. Die Wirtschaft wird zum Schicksal und gibt alle Fragen und Antworten vor. Liberalismus läuft also immer darauf hinaus, das Politische mittels der Moral und der Ökonomie zurückzudrängen. Daß er nur zu einer Antipolitik fähig ist, liegt an seinem Individualismus. Wer das Individuum an erste Stelle setzt, kann auch nicht das Opfer des einzelnen verlangen. Damit aber ist die Begründung jeder umfassenden Einheit unmöglich gemacht – und der Weg in Chaos und Untergang geebnet.

Der Begriff des Politischen hat von allen Schriften Schmitts vermutlich die größte Resonanz erfahren. Durch sie sah er sich zahlreichen Mißverständnissen (Vorwurf des Bellizismus) ausgesetzt, die bis heute anhalten. Im Nachwort zur ersten Nachkriegsausgabe von 1963 erblickt Schmitt eine der Ursachen dafür in der abstrakten Freund-Feind-Formel am Anfang des Buches. Diese griffige Formulierung hat jedoch wesentlich zum Erfolg der Schrift beigetragen, die nicht zuletzt Schmitts Freundschaft mit Ernst Jünger begründete. Ausgabe: 8. Auflage, mit einem Vorwort (1963) und drei Corollarien, Berlin: Duncker & Humblot 2009.

Literatur

  • Helmut Quaritsch: Positionen und Begriffe Carl Schmitts, Berlin 1995.
  • Thor von Waldstein: Der Beutewert des Staates. Carl Schmitt und der Pluralismus, Graz 2008.
Der Artikel wurde von Wiggo Mann verfaßt.