Bremen – Böttcherstraße: Unterschied zwischen den Versionen

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* Daniel Schreiber (Hrsg.): ''Ewald Mataré und das Haus Atlantis. Eine Kunstgeschichte zwischen Hoetger und Beuys'', Bremen 2005.
 
* Daniel Schreiber (Hrsg.): ''Ewald Mataré und das Haus Atlantis. Eine Kunstgeschichte zwischen Hoetger und Beuys'', Bremen 2005.
* Arn Strohmeyer: ''Der gebaute Mythos. Das Haus Atlantis in der Bremer Böttcherstraße. Ein deutsches Mißverständnis'', Bremen
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* Arn Strohmeyer: ''Der gebaute Mythos. Das Haus Atlantis in der Bremer Böttcherstraße. Ein deutsches Mißverständnis'', Bremen 1993.
1993.
 
 
* Hans Tallasch (Hrsg.): ''Projekt Böttcherstraße'', Delmenhorst 2002.
 
* Hans Tallasch (Hrsg.): ''Projekt Böttcherstraße'', Delmenhorst 2002.
  

Version vom 22. September 2016, 14:23 Uhr

Die Bremer Böttcherstraße war, wie der Name sagt, ursprünglich Wohn- und Arbeitsplatz der Faßmacher. Sie bestand seit dem Mittelalter aus einer Reihe kleiner, eher dunkler und wenig ansehnlicher Gebäude. Daß sie seit den 1920er Jahren zu den Sehenswürdigkeiten der alten Hansestadt zählt, geht auf die Initiative des Großkaufmanns Ludwig Roselius zurück. Roselius hatte ein Vermögen durch die Erfindung des entkoffeinierten Kaffees – »Kaffee HAG« – gemacht und sich seit der Vorkriegszeit als Philanthrop, Kunstsammler und Mäzen betätigt. Für ihn typisch war auch die Verknüpfung von Geschäftsinteresse, praktischem Sinn und Vision beim Umbau der Böttcherstraße. Schon das zuerst erworbene Haus, die Nr. 6, das älteste und schönste Gebäude der Böttcherstraße, hatte Roselius zum Verwaltungssitz seiner Firma gemacht, ab 1928 nahm es seine Kunstsammlung auf und wurde in »Roselius-Haus« umbenannt. Ähnlich ging es mit den Lagerhäusern in Nr. 4 und 5, in die seine Hausbank, die Bremen-Amerika-Bank, einzog.

Zwischen 1923 und 1927 wurde die ganze, vom Markt aus gesehen, rechte Seite der Straße neu gestaltet. Den Auftrag dazu erhielten die angesehenen Bremer Architekten Alfred Runge und Eduard Scotland. Sie griffen auf traditionelle Vorgaben zurück, vor allem Muster der Bremer Weserrenaissance, und fanden damit allgemeine Anerkennung. Deutlich anders verhielt es sich mit dem Paula-Becker- Modersohn-Haus, das Roselius von seinem Freund, dem Bildhauer Bernhard Hoetger, errichten ließ. Hoetger, der nach Lehr- und Wanderjahren, die ihn u. a. nach Paris und durch die Schule Rodins geführt hatten, in der Künstlerkolonie Worpswede eine Heimat fand, war kein Architekt und gestaltete das Becker-Modersohn- Haus eher wie eine Skulptur. Das erklärt die »organische« Formung der Innenräume ebenso wie die naturhafte Wirkung der vielfach gebrochenen Fassade, aus der Ornamente und reliefartige Symbole hervortreten. Immerhin hat die Verwendung des Backsteins hier wie bei den Gebäuden von Scotland und Runge einen harmonischen Gesamteindruck hinterlassen. Trotzdem gab es nach der Vollendung 1927 auch irritierte Stimmen, die sich vor allem an expressionistischen Elementen und dem Modernismus des Hauses störten.

Zu betonen ist aber, daß sich die Kritik am Formalen, nicht an der inhaltlichen Bestimmung entzündete, denn das von Roselius formulierte Programm – »Die Wiedererrichtung der Böttcherstraße ist ein Versuch, deutsch zu denken« – konnte in der Zwischenkriegszeit durchaus auf breitere Zustimmung rechnen. Problematisch erschien nur die Art und Weise, in der Roselius diesem »Versuch, deutsch zu denken «, künstlerischen Ausdruck verschaffen wollte. Bis Mitte der zwanziger Jahre waren seine Vorstellungen eher restaurativ gewesen. Das änderte sich unter dem Einfluß Hoetgers, der bei den expressionistischen Stürmern und Drängern der Zeit als eine Art Führerfigur galt. Eine wichtige Rolle für dessen Abwendung von der Klassik spielte die Auseinandersetzung mit primitiver Kunst afrikanischer und polynesischer Herkunft, deren Ursprünglichkeit er aber auch als etwas verstand, das dem »Nordischen« ungleich näher kam als die Bemühungen eines völkischen Realismus.

Die Angst, daß die Böttcherstraße nichts anderes sein werde als ein attraktives, kommerziell nutzbares, aber in ihrem Ausdruck unschöpferisches Ganzes, hat Roselius offenbar dazu veranlaßt, Hoetger für die Gestaltung der Gebäude, mit denen er beauftragt wurde, weitgehend freie Hand zu lassen. Das galt schon für das Becker-Modersohn-Haus und dann erst recht für das Haus Atlantis. Auch hier fand sich die Kombination aus Brauchbarkeit und Weltanschaulichem. So beherbergte das Haus neben Klub- und Veranstaltungsräumen, darunter der große »Himmelssaal« im Dachgeschoß, ein »Institut für Gesundheit und Leistung«, eine Art Fitness-Zentrum, das auch dem Betriebssport der Angestellten von Roselius diente, Bibliotheks- und Leseräume sowie einen musealen Bereich für die »Sammlung Väterkunde«. Anders als im Roselius- oder im Becker-Modersohn-Haus ging es in der Sammlung aber nicht um die Präsentation wertvoller Kunstwerke, sondern um die Vermittlung eines bestimmten Geschichtsbildes, in dessen Zentrum die Idee stand, daß die »nordische Rasse« die einzige kulturschöpferische sei, mit einem nordischen Atlantis als ihre Urheimat, die in der Vorzeit durch eine Flutkatastrophe vernichtet worden sei und deren Überlebende dann in allen Teilen der Welt mit ihrem überlegenen Wissen befruchtend gewirkt hätten. Von entsprechenden – stark durch Herman Wirth beeinflußten – Ideen war auch eine über die ganze Höhe der Fassade reichende Skulptur geprägt, die das Radkreuz und einen Lebensbaum miteinander kombinierte, an dem Odin sich selbst gekreuzigt hatte. Nach Fertigstellung war aber nicht nur Wirth, sondern auch die breitere Öffentlichkeit entsetzt, denn Hoetgers Figur des Gekreuzigten bedeckte an den Lenden eine Art Fellschurz, der Körper wirkte ausgemergelt, der Kopf seltsam überproportioniert und maskenhaft unmenschlich. Roselius verteidigte zwar das Werk seines Freundes, aber nach Hitlers (➞München: Feldherrnhalle) Machtübernahme sah er sich gezwungen, den offiziellen Führer der Böttcherstraße mit einem Hinweis zu versehen, daß das »Paula Becker-Modersohn-Haus und der Lebensbaum vor dem Hause Atlantis keinesfalls der heutigen nationalsozialistischen Kunstanschauung entsprechen«.

Dieser Akt der Selbstzensur blieb nicht der einzige, dem sich Roselius und Hoetger unterwarfen. Geholfen hat das nichts. Im Frühjahr 1935 begann Das Schwarze Korps, die Wochenzeitung der SS, die ihre besondere Aufgabe darin sah, »verdeckte « Gegner des Systems zu entlarven, mit Angriffen auf Roselius und Hoetger, und in seiner großen kulturpolitischen Rede auf dem Nürnberger Parteitag von 1936 erklärte Hitler dann unmißverständlich, der »Nationalsozialismus lehnt diese Art von Böttcherstraßen-Kultur schärfstens ab«. Die Angegriffenen unterwarfen sich nicht nur dem Diktum Hitlers bedingungslos, sie machten ihrerseits Vorschläge, wie man die »Kulturschande« beheben könne. Zu den wichtigsten Veränderungen gehörte ohne Zweifel die Entfernung des expressionistischen Ziegel- und Buntglasgefüges über dem Eingangstor der Böttcherstraße, das Hoetger durch ein goldschimmerndes Relief ersetzen ließ, das einen vom Himmel herabstoßenden Engel mit Schwert zeigte, der einen Drachen niederschlägt. Zeitgleich bat Roselius Hitler persönlich um Abänderungsvorschläge, der entschied aber, daß keine Korrekturen vorzunehmen seien, vielmehr solle die Böttcherstraße der Nachwelt als abschreckendes Beispiel für »entartete Kunst« erhalten bleiben: Nach der Begehung durch Albert Speer wurde das ganze Ensemble ein halbes Jahr später zu diesem Zweck sogar unter Denkmalschutz gestellt.

Gerettet hat das die Böttcherstraße nicht vor den alliierten Luftangriffen auf Bremen am 19. August und 6. Oktober 1944. Nur das Haus Atlantis blieb weitgehend unversehrt, die Stahlkonstruktion war stabil genug. Indes wurde der Lebensbaum zum großen Teil ein Opfer der Flammen. Daß man bei der Rekonstruktion der Böttcherstraße, die 1954 abgeschlossen war, nicht an eine Restauration dachte, wird man vielleicht als verständlich ansehen, aber bis 1965 wurden auch die Reste der Hoetgerschen Fassade unkenntlich gemacht. Lediglich Treppenhaus und Himmelssaal ließen die neuen privaten Eigner restaurieren. Immerhin kann man auch heute durchaus noch einen Eindruck von diesem ambitionierten und eigenwilligen Versuch »nationalen Bauens« gewinnen, wenn man die Böttcherstraße besucht.

Literatur

  • Daniel Schreiber (Hrsg.): Ewald Mataré und das Haus Atlantis. Eine Kunstgeschichte zwischen Hoetger und Beuys, Bremen 2005.
  • Arn Strohmeyer: Der gebaute Mythos. Das Haus Atlantis in der Bremer Böttcherstraße. Ein deutsches Mißverständnis, Bremen 1993.
  • Hans Tallasch (Hrsg.): Projekt Böttcherstraße, Delmenhorst 2002.
Der Artikel wurde von Karlheinz Weißmann verfaßt.