Bayreuth – Festspielhaus

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Die Seitenansicht des Festspielhauses in Bayreuth
Um 1895

Bayreuth ist ein Ort, der erst durch die Ansiedlung Richard Wagners 1872 wirklich relevant geworden ist. Vorher hatte das erstmals Ende des 12. Jahrhunderts erwähnte fränkische Fleckchen, das bis 1806 unter der Herrschaft der Hohenzollern (Hechingen) stand und erst infolge der napoleonischen Besetzung an Bayern abgetreten wurde, nicht viel Besonderes an sich. Lediglich einen gewissen Ruf als Stadt der Kultur hatte Bayreuth sich seit dem 18. Jahrhundert erworben, als eine ganze Reihe repräsentativer Bauten entstand und auch die Bayreuther Universität gegründet wurde. Die Entscheidung Wagners für Bayreuth als Stätte der von ihm geplanten Festspiele fiel aber letztlich gerade aufgrund der relativen Bedeutungslosigkeit und vor allem wegen der Abgeschiedenheit der Stadt. Mit Wagners Umzug nach Bayreuth, dem Bau von Haus Wahnfried und dem 1876 fertiggestellten, etwas außerhalb der Stadt gelegenen Festspielhaus wurde Bayreuth zum Synonym für Wagner, für seine Kunst und seine Weltanschauung.

Die Musik Wagners war von Anfang an umstritten, und bis heute ist die Einordnung Wagners in die Musikgeschichte des Abendlandes schwierig, innerhalb derer er manchen geradezu als Fremdkörper erscheint. Diese Auffassung mag man für übertrieben halten - ein Beispiel für die auf mitunter verschlungenen Wegen ablaufende Wagnerrezeption ist die Nutzung der Leitmotivtechnik in der Filmmusik des 20. Jahrhunderts aber tatsächlich sind die Wagneropern schon allein ihres ausladenden Umfangs wegen nur mit Mühe in den allgemeinen Gang des kulturindustriellen Musikbetriebs zu integrieren. Und auch wenn die Musik Mozarts, Beethovens und anderer sowohl Anhänger als auch Gegner gefunden hat, so ist das doch kaum vergleichbar mit dem Grad an Intensität, ja an Bekenntniszwang, der mit Richard Wagners musikalischem Schaffen verbunden ist. Das hängt wiederum vor allem mit dem Wagnerschen Konzept des Gesamtkunstwerks zusammen, das es verbietet, die Musik von dem durch sie transportierten Inhalt zu trennen.

Wagners Werk kann daher auch nicht ohne die Weltanschauung verstanden werden, die in Bayreuth ihre praktische Anwendung fand. Politisch war Wagner seit den 1830er Jahren revolutionär-liberaler »Jungdeutscher« und 1848 Anhänger der Märzrevolution (Frankfurt). Ein privat wie öffentlich verwickeltes Leben brachte ihn schließlich nach Bayern, wo er neben der Unterstützung König Ludwigs II. (Neuschwanstein) auch diejenige des 1871 gegründeten deutschen Kaiserreichs gewann. Allerdings beobachtete Wagner die politische Entwicklung Deutschlands weiterhin mit ausgesprochener Skepsis. Seine Kulturkritik machte gerade bei Preußen und den Hohenzollern nicht halt; was dem später der »Deutschtümelei« Verdächtigten vorschwebte, war keine politische Weltherrschaft Deutschlands, sondern ein Weltreich des deutschen Geistes, wie es interessanterweise nach Wagners Tod 1883 auch der nachhaltig von dem berühmten Wagnerianer Houston Stewart Chamberlain beeinflußte Kaiser Wilhelm II. (Doorn, Jerusalem) propagierte.

Wagner ging aber noch weiter und vertrat die Auffassung, daß der deutsche Geist in besonderer Weise berufen sei, die kulturzerstörenden Tendenzen der Moderne zu bekämpfen. Vor allem der im Niedergang begriffenen Religion wollte er mit Hilfe seiner Kunst zu einer umfassenden »Regeneration« verhelfen. In seinem berühmten, 1880 veröffentlichten Aufsatz über »Religion und Kunst« faßte er sein Anliegen prägnant zusammen: »Man könnte sagen, daß da, wo die Religion künstlich wird, der Kunst es Vorbehalten sei, den Kern der Religion zu retten, indem sie die mythischen Symbole, welche die erste-re im eigentlichen Sinne als wahr geglaubt wissen will, ihrem sinnbildlichen Werte nach erfaßt, um durch ideale Darstellung derselben die in ihnen verborgene tiefe Wahrheit erkennen zu lassen.« Wagner knüpfte damit an - im weitesten Sinne romantische - Bestrebungen an, die seit dem Ende des 18. Jahrhunderts von der »Deutschen Bewegung« (Herman Nohl) verfolgt wurden und die auf eine umfassende politische, kulturelle und religiöse Erneuerung Deutschlands abzielten. Das Mittel dazu sollte eine Synthese aus Deutschtum und Christentum sein, und vieles spricht dafür, gerade die späteren Werke Richard Wagners unter diesem Aspekt zu verstehen: den Ring als Tradierung germanischer Mythologie, die Bearbeitung des Gralsmotivs in Parsifal und Lohengrin als deutschchristlichen Syntheseversuch.

Eine solche Interpretation wurde jedenfalls von den Anhängern des Meisters propagiert, die sich schon zu dessen Lebzeiten zum »Bayreuther Kreis« formierten und die nach Wagners Tod dessen Sendung weiterverfolgten. Im Zentrum standen Wagners Witwe Cosima sowie Hans von Wolzogen; die größte Verbreitung aber fand die Wagnersche Lehre durch deren eigenwillige Systematisierung in den Grundlagen des XIX. Jahrhunderts von Houston Stewart Chamberlain. Dieses Buch prägte eine ganze Generation von Jugendbewegten, bei denen protestantische Ernsthaftigkeit sich mit einer zunehmenden Kirchenferne verband. Die Vorstellungen des Bayreuther Kreises waren relativ heterogen, gingen etwa von einem deutschen, aber traditionell geprägten Christentum bis hin zu völkischen Entwürfen. Es waren daher auch nicht so sehr die explizit weltanschaulichen Vorgaben, die eine gewisse Breitenwirkung entfalteten, sondern eher eine durch Wagners Musik und die von ihm bearbeiteten thematischen Stoffe infizierte Atmosphäre.

Daß auch Hitler (→ München – Feldherrnhalle) sich zu den Wagnerianern zählte, ist natürlich kein Zufall, zumal nicht nur Chamberlain, sondern auch Wagner selbst im Antisemitismus ein Element ihrer Weltanschauung sahen. Thomas Manns Ausspruch, es stecke »viel Hitler in Wagner«, ist aber unvollständig, wenn man unterschlägt, wie sehr Mann selbst von Wagner fasziniert war, dessen Kunst er als »die sensationellste Selbstdarstellung und Selbstkritik deutschen Wesens, die sich erdenken läßt«, betrachtete, die angetan sei, »selbst einem Esel von Ausländer das Deutschtum interessant zu machen«. Die Bayreuther Festspiele wurden daher auch zu Recht nach 1945 nicht abgeschafft, Wagner nicht aus den Spielplänen gestrichen, und alle Versuche in Richtung einer leichteren Konsumierbarkeit oder einer ideologisch motivierten »Dekonstruktion« durch neuere Inszenierungen ändern doch nichts daran, daß in Wagners Kunst ein Stück deutschen Geistes unzerstörbar weiterlebt.

Literatur

  • Siegfried Gerlich: Richard Wagner - die Frage nach dem Deutschen. Philosophie, Geschichtsdenken, Kulturkritik, Wien 2013.
  • Thomas Mann: Wagner und unsere Zeit, Frankfurt a. M. 1963.
  • Winfried Schüler: Der Bayreuther Kreis von seiner Entstehung bis zum Ausgang der wilhelminischen Ära. Wagnerkult und Kulturreform im Geiste völkischer Weltanschauung, Münster 1971.
  • Richard Wagner: Religion und Kunst [1880], in: ders.: Dichtungen und Schriften, Bd. 10, Frankfurt a. M. 1983, S. 117-163.
Der Artikel wurde von Martin Grundweg verfaßt.