Annaberg: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 21. September 2016, 19:17 Uhr

2008
Um 1940
Oberschlesien, ca. 40 km südöstlich von Oppeln

Auch wenn der Annaberg aus dem bundesdeutschen Gedächtnis weitgehend gelöscht ist, hatte dieses Stück umstrittener Erde einst deutsche und polnische Herzen heiß entflammt. Dabei spielte sich die Geschichte auf und um diesen in ländlicher Umgebung gelegenen Inselberg zunächst betont friedfertig ab.

Der Sankt Annaberg (poln. Göra Swie-tej Anny) liegt oberhalb der gleichnamigen Ortschaft auf dem Gebiet der Gemeinde Leschnitz. Im 15. Jahrhundert wurde auf dem Annaberg eine Kirche errichtet, die, besonders nachdem man dort die Reliquien der heiligen Anna aufgebahrt hatte, bald Ziel vieler Wallfahrten wurde. 1657 bis 1659 baute man ein Franziskanerkloster aus Holz, das in den Jahren 1733 bis 1759 von einem gemauerten, noch heute existierenden Bau ersetzt wurde. Zusammen mit der Kirche entstand eine barockgotische Anlage. Von da an war der St. An-naberg das Zentrum des religiösen Lebens in Oberschlesien.

Das Gebiet Oberschlesiens war deutsch (eine deutsche Minderheit lebt dort immer noch) und polnisch besiedelt. Es gehörte nacheinander zur polnischen, habsburgischen und preußischen Krone und wurde 1871 in das neuerstandene Deutsche Reich eingegliedert. Nach dem Ersten Weltkrieg und der Wiedererrichtung eines polnischen Staates geriet Oberschlesien zum Zankapfel zwischen Polen und Deutschland. Bevor es im März 1921 zu einer Volksabstimmung über die staatliche Zugehörigkeit der Region kam, brachen 1919 und 1920 zwei, von polnischer Seite ausgelöste, Aufstände aus. Der erste Aufstand konnte von der Schwarzen Reichswehr niedergeschlagen werden, der zweite wurde auf Drängen einer internationalen Kommission beendet. Die Lage beruhigte sich jedoch auch nicht nach dem Plebiszit vom 20. März 1921, bei dem 59,6 Prozent der Wähler für ein Verbleiben Oberschlesiens beim Deutschen Reich votierten und lediglich 40,4 Prozent für einen Anschluß an Polen. In der Gemeinde Annaberg stimmten sogar knapp 82 Prozent für den Verbleib im Deutschen Reich.

Die Spannungen zwischen beiden Volksgruppen mündeten schließlich in einen dritten Aufstand, der in der Nacht vom zweiten auf den dritten Mai 1921 ausbrach, wobei polnische Freischärler den strategisch wichtigen Annaberg besetzten. Deutsche Freikorps schlossen sich daraufhin im Selbstschutz Oberschlesien (SSOS) zusammen und rüsteten zur Gegenwehr. Bereits am 21. Mai gelang es ihnen, den Annaberg zu erobern, während die Kämpfe im Umland des Berges noch bis zum 27.

Mai dauerten. Offiziell endete der Aufstand am 5. Juli 1921, als auf Druck der Alliierten ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet wurde.

Trotz der sowohl militärischen als auch abstimmungsmäßigen Niederlage Polens konnte der 1922 in Genf Unterzeichnete Teilungsvorschlag für Oberschlesien (2/3 Deutschland, 1/3 Polen) als polnischer Erfolg verbucht werden. Der flächen- und bevölkerungsmäßig größere Teil verblieb zwar beim Deutschen Reich, das wichtigere oberschlesische Industriegebiet ging jedoch an Polen. - In gewisser Weise ein Menetekel: Obgleich Polen im 20. Jahrhundert sämtliche militärischen Konflikte mit Deutschland verloren hatte, erfüllte sich letztendlich sein Traum vom »Lebensraum im Westen« weitgehend.

Die Kämpfe der Freikorps um den Annaberg - ein Eingreifen der Reichswehr wurde dem Deutschen Reich von alliierter Seite untersagt, während die polnischen Freischärler von französischen Truppen unterstützt wurden - fanden auch literarisch ihren Niederschlag. Besonders Kurt Eggers, der als fünfzehnjähriger Schüler vom Gymnasium weggelaufen war, um in einem Freikorps an dem Sturm auf den Annaberg teilzunehmen, hat dieses Ereignis von seiner Warte aus mehrmals verarbeitet: In dem Hörspiel Annaberg (1933), in dem Roman Berg der Rebellen (1937) und in dem Schauspiel Das Kreuz der Freiheit (1937).

In den Jahren 1936 bis 1938 errichtete der Architekt Robert Tischler im Auftrag des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge ein Freikorps-Ehrenmal auf dem Annaberg. Tischler galt als ein Spezialist für die Erbauung von Kriegerdenkmälern und Soldatenfriedhöfen. Fast ein Leben lang arbeitete er für den Volksbund, in dessen Auftrag er u.a. die Ehrenmale und Soldatenfriedhöfe in Liny-devant-Dun (Verdun) in Frankreich, Waldenburg in Schlesien und Bitola im damaligen Jugoslawien (heute Mazedonien) errichtete. Das Ehrenmal auf dem Annaberg darf als Tischlers reifste Schöpfung angesehen werden. Seine Formensprache, die verwendeten Materialien sowie die Lage auf dem Berg bildeten eine überzeugende Einheit. Das fast kreisrunde Bauwerk erhob sich, weithin sichtbar, genau dort, wo der Berg infolge eines ehemaligen Steinbruches fast senkrecht in die Tiefe stürzt. Die Totenburg wuchs förmlich aus der Felsenwand hervor und bildete ihren krönenden Abschluß. Zwölf Pilaster, auf denen sich Feuerschalen befanden, verstärkten die Außenmauern. Der Zugang zum Ehrenmal erfolgte von der Berginnenseite. Durch eine wuchtige Metalltür führte ein Gang in eine mit farbigen Keramikmosaiken gestaltete Kuppelhalle, die von einem Oberlicht erhellt wurde. Rings um die Kuppelhalle waren die 51 Särge der bei der Erstürmung des Anna-bergs gefallenen Freikorpsmänner aufgebahrt. Zu Füßen von Berg und Totenburg hatte Franz Böhmer in Zusammenarbeit mit Georg Petrich von 1934 bis 1938 einen noch heute erhaltenen Thingplatz errichtet, der 7000 Sitz- und 20000 Stehplätze umfaßt und mit den Nebenanlagen bis zu 50000 Personen aufnehmen konnte. In unmittelbarer Nähe dazu bauten Böhmer und Petrich noch eine Jugendherberge, die 1937 von Baldur von Schirach eingeweiht wurde.

1945, unmittelbar nach der gewaltsamen Vertreibung der Deutschen, sprengten polnische Soldaten das Freikorps-Ehrenmal mitsamt den Sarkophagen in die Luft -kein pietätvoller Akt, zumal wenn man bedenkt, daß der St. Annaberg ein »heiliger 16 Berg« ist und als Wallfahrtsort dient. 1946 wurde ein Wettbewerb für ein neues, jetzt polnisches Denkmal ausgeschrieben. Der polnische Bildhauer Xawery Dunikowski gewann den Wettbewerb. Das nach seinen Plänen errichtete Denkmal wurde 1955 von dem damaligen polnischen Staatsratsvorsitzenden Aleksander Zawadzki eingeweiht. An der Außenseite des Denkmals sind Szenen eingemeißelt, in denen die schlesische Geschichte sehr verzerrt widergespiegelt wird. So werden die einstigen deutschen Bewohner ausschließlich als Aggressoren gegen die »Schlesier« dargestellt, die hier nur als Polen zu verstehen sind. Ebenso verquer wie die darauf wiedergegebene Geschichte ist auch das Bauwerk selbst. Da dieses polnische Denkmal sich sowohl von seiner Lage als auch von seiner Formgebung her deutlich von dem äußerst gelungenen deutschen Vorgängerbau unterscheiden sollte, konnte es eigentlich nur mißlingen. Es entstand ein seltsam verrutschter Bau, der mit der »Architektur des Berges« keinerlei Einheit bildet. Das Bauwerk selbst, vier massige Pfeiler, die mit einem Architrav verbunden sind, stellt eine Art Triumphbogen dar, der von seiner Formgebungjedoch wenig überzeugt.

Am Weg vom Annaberg nach Leschnitz liegt das »Museum der Schlesischen Aufstände«. Es zeigt in einer Dauerausstellung ein Panorama der Aufstände und behandelt die Geschichte von Leschnitz und des St. Annabergs.

Literatur

  • Camilius Bolczyk: St. Annaberg. Geschichte des berühmten Wallfahrtsortes im Herzen Oberschlesiens, Breslau 1937
  • Mortimer G. Davidson: Kunst in Deutschland 1933-1945. Bd. 3 Architektur, Tübingen 1995, Abb. 57, Abb. 890-904, S. 473, S. 571-572
  • Erich Mende: Der Annaberg und das deutsch-polnische Verhältnis, Bonn 1991
  • Kai Struwe (Hrsg.): Oberschlesien nach dem Ersten Weltkrieg. Studien zu einem nationalen Konflikt und seiner Erinnerung, Marburg 2003
Der Artikel wurde von Norbert Borrmann verfaßt.