Agnetendorf – Haus Wiesenstein

Aus Staatspolitisches Handbuch im Netz
Version vom 21. September 2016, 19:17 Uhr von Admin (Diskussion | Beiträge) (1 Version importiert)
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Haus Wiesenstein
Niederschlesien, ca. 15 km südwestlich von Hirschberg

Malerisch am Fuße des Riesengebirges (das durch seinen Rübezahl selbst ein mythischer Ort ist) gelegen, von wo aus man sowohl die Schneekoppe als auch die Schneegruben sehen kann, wählte der spätere Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann (1862-1946) im November 1899 den kleinen Ort Agnetendorf (polnisch: Jagniątków) für sein zukünftiges Domizil aus und kaufte sich das unbebaute Grundstück um den am Dorfrand gelegenen Hemmhübel.

Hauptmann war zu jener Zeit bereits einer der erfolgreichsten Theaterschriftsteller der jüngeren Generation, lebte in Berlin von seiner Frau Marie und den drei Söhnen getrennt und wollte das Verhältnis zu seiner Geliebten Margarete Marschalk, die ein Kind von ihm erwartete, in geordnete Bahnen lenken. Hauptmann verstand sich ausdrücklich als schlesischer Dichter (er stammte aus Obersalzbrunn), der sein Werk »in Heimaterde verwurzelt« sah und daher heimkehren wollte, weil er es für sein Schaffen brauchte: »Nüchtern betrachtet, gewann ich hier ... für meine künstlerische Tätigkeit und das erregende Scheinwesen des Theaters das gesunde Gegengewicht.« Bereits 1891 hatte er gemeinsam mit seinem Bruder Carl ein Sommerhaus in Mittelschreiberhau bezogen und im Zuge der Ehekrise verlassen.

Am 25. Juni 1900 wurde der Grundstein zum Haus Wiesenstein gelegt. Seit 1901 wohnte Hauptmann in Agnetendorf in einem Bauernhaus, um schließlich am 12. August 1901 erstmals gemeinsam mit seinem Sohn Ivo in dem Neubau übernachten zu können. Das Haus hat eine Grundfläche von 150 Quadratmetern und kostete Hauptmann etwa 200.000 Reichsmark. »Ein runder, gedrungener Turm gab dem Gebäude etwas Burgartiges« - »symbolischer Ausdruck der Gemütslage seines Bauherrn«, als »eine Abwehr der Gegenwart und zugleich eine Abkehr von ihr«, so Hauptmann über sein neues Domizil.

Die Grundidee zu dem Haus stammte wohl von Hauptmann selbst, für die Ausführung beauftragte er den bekannten Architekten Hans Grisebach, der auch das erste Haus der Berliner Sezession entworfen hatte. Hauptmann gefiel die von Grisebach bevorzugte Formensprache des Eklektizismus, insbesondere die der Neorenaissance. Dementsprechend ist auch das heute als Hauptmann-Museum dienende Haus angelegt. Äußerlich erinnert es an eine kleine Burg, die frei auf einem Felssporn steht und die Umgebung überragt. Erreicht wird dieser Eindruck vor allem durch den angedeuteten Bergfried, weitere Türmchen und eine Art Wehrgang. Hauptmann spricht in seinem Buch der Leidenschaft von der »Burg«: »Sie steht auf einem Granitrücken zwischen Gletscherbächen. Die Schneegruben über uns, wo sie entspringen, und das ganze Tal sind altes Gletschergebiet. Im Garten sind alte Granitblöcke von mächtigen Ausmaßen stehengeblieben.«

Im Innern ist es wie ein klassisches Bürgerhaus angelegt, dominiert von einer großen Eingangshalle, von der alle Zimmer abgehen und die Hauptmann 1922 von Johannes Maximilian Avenarius ausmalen ließ. Diese Malereien, die Variationen aus Hauptmanns Werken zeigen, sind auch heute noch zu sehen. So schuf sich Hauptmann eine repräsentative Dichterresidenz, die in dieser Form einzigartig in Deutschland sein dürfte und von dem künstlerischen Selbstbewußtsein ihres Erbauers zeugt. Um Hauptmann zu besuchen, kamen vielen Persönlichkeiten nach Agnetendorf, das dadurch zu einem Bestandteil der Riesengebirgsbegeisterung am Anfang des 20. Jahrhunderts wurde.

Die Größe - und dies macht das Haus schließlich zu einem Ort, der über die Bedeutung Hauptmanns hinausgeht - liegt darin, daß Hauptmann in diesem Haus bis zu seinem Tod am 6. Juni 1946 ausgeharrt hat. Dadurch gab es im Ort und in der Umgebung die Hoffnung, daß man die Heimat nach der Eroberung durch die Russen nicht würde verlassen müssen. Außerdem wurde bei russischen Übergriffen auf die Dorfbewohner vom Turm aus Alarm geschlagen. Den Wiesenstein rührten die Russen nicht an, vielmehr versuchten sie, Hauptmann für ein sozialistisches Deutschland zu gewinnen. Hauptmanns Sarg verließ dann mit Witwe, Archiv und Einrichtung sowie zahlreichen Bewohnern Schlesien mit einem Sonderzug in die Sowjetische Besatzungszone, wo Hauptmann schließlich auf Hiddensee beerdigt wurde.

Nach der Nutzung des Hauses als Kinder- und Ferienheim wurde es seit 1999 saniert und 2001 als Museum »Gerhart Hauptmann Haus« eröffnet, in dem es außer dem Haus selbst kaum Originales zu besichtigen gibt. Allerdings kann man auch heute noch erahnen, welche Ausstrahlung das Haus einmal hatte. Im Park wurde die Skulptur »Hannerle« von Josef Thorak, die Hauptmann 1942 zum 80. Geburtstag geschenkt bekam, wieder aufgestellt - nachdem sie Jahrzehnte im Freibad von Hirschberg überdauert hatte und dabei zwei Unterarme einbüßte.

Literatur

  • Wolfgang de Bruyn; Antje Johanning: Gerhart Hauptmann und seine Häuser, Kunersdorf 2007, S. 159-197
  • Gerhart Hauptmann: Buch der Leidenschaft, 2 Bde., Berlin 1930
  • Walter Schmitz: Das Haus am Wiesenstein. Cerhart Hauptmanns dichterisches Wohnen, Dresden 2006
  • Peter Sprengel: Gerhart Hauptmann. Bürgerlichkeit und großer Traum. Eine Biographie, München 2012, S. 315-330
  • Felix A. Voigt: Gerhart Hauptmann der Schlesier, Goslar 1947
Der Artikel wurde von Erik Lehnert verfaßt.