Romano Guardini

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Romano Guardini um 1920
Guardini, Romano,
17. Februar 1885 Verona,
1. Oktober 1968 München.

Guardini wurde als Sohn einer aus Südtirol stammenden Mutter und eines italienischen Geflügelgroßhändlers geboren. 1886 übersiedelte die Familie nach Mainz, wo Guardini das humanistische Gymnasium absolviert. Nach Studien der Chemie und Nationalökonomie entschied er sich, zusammen mit dem Jugendfreund Karl Neundörfer, Theologie zu studieren. Romano Guardinis lebenslanger Freund, Josef Weiger, gehörte mit in den Tübinger Freundschaftskreis, der gleichermaßen von einer Neuaneignung des großen katholischen Erbes und den geistigen und ästhetischen Gärungen und Bewegungen der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg bestimmt war. 1915 promovierte Guardini über Bonaventura, 1922 habilitierte er sich über denselben Kirchenlehrer.

Fahne der Quickborn-Bewegung auf Burg Rothenfels (1920er Jahre)

In den nächsten Jahren war Guardini an maßgeblicher Stelle in der katholischen Jugendbewegung tätig, vor allem im Quickborn mit dem Zentrum der Burg Rothfels. Neben einer Neugestaltung der gesamten Lebensführung bildete die Reform der Liturgie, wobei dem Logos ein verstärktes Gewicht gewidmet sein sollte, einen Schwerpunkt der Neuorientierung. Bis 1939 suchte Guardini die Burg Rothfels als eine Gegenwelt zu bewahren, auch wenn er seit 1934 bespitzelt wurde. Er wollte sie zu einer christlichen Akademie formen, was bis zu der erzwungenen Schließung auch weitgehend gelingen sollte.

Bereits 1923 erhielt Guardini den neuerrichteten Lehrstuhl für Christliche Weltanschauung an der Berliner Friedrich-Wilhelms- Universität. Die Titulatur, die auch seinen späteren Münchener Lehrstuhl prägen sollte, war Programm: Inmitten des protestantisch geprägten Berlin sollten die Grundphänomene und Kräfte der eigenen Zeit aus christlicher Perspektive gedeutet werden, im Sinn einer freien, auch ästhetisch hochgebildeten Katholizität, die die großen Traditionen neu aneignete. Der Weltanschauungsbegriff folgte dabei den geistigen und methodischen Vorgaben der hermeneutischen Schule von Dilthey bis Troeltsch. Die Einlösung zeigte sich in den morphologisch souveränen Deutungen Guardinis, die von der Patristik, von Augustinus zu Platon zurückreichen, wobei er aber die thomistische Tradition nicht verleugnete. Ein polyphones Wahrheitsverständnis, das zugleich auf den absoluten Grund gerichtet ist, bildet gleichsam die Mittelachse aller Arbeiten.

Schon in den frühen dreißiger Jahren kritisierte Guardini den innerweltlichen Messianismus des NS-Regimes; er verwies auf den unlösbaren Nexus zwischen jüdischer Religion und christlichem Glauben, der sich schon aus der Existenz Jesu ergebe. In den beiden letzten Kriegsjahren lebte Guardini zurückgezogen in Mooshausen, dem Pfarrort seines Freundes Weiger. Erst nach 1945 konnte er seine öffentliche Wirksamkeit wieder aufnehmen, zunächst in Tübingen und drei Jahre später mit der Berufung auf das persönliche Ordinariat in München. Von hier aus entfaltete Guardini in den nächsten Jahren eine große Wirksamkeit. Sein virtuoser und zugleich zurückgenommener Vortragsstil wirkte weit in das Bürgertum hinein. In großen Zyklen, die sich stets der existentiellen Dimension des Denkens aussetzten, interpretierte er Platon, Augustinus, Dante, Pascal, Kierkegaard, Dostojewski und Hölderlin. Im Zentrum eines langjährigen Vorlesungszyklus stand aber die Ethik, bei Guardini verstanden als umfassende Lehre von der Kunst der Lebensgestaltung. Ergänzend dazu wirkte er als überzeugender, auf die Stunde hörender Prediger und Liturg in der St.-Ludwigs- Kirche bei den Münchener Universitätsgottesdiensten.

1950 erschien die gleichermaßen essayistisch prägnante und wegweisende Studie Das Ende der Neuzeit. Guardini sieht die antike und mittelalterliche Weltsicht durch eine grundsätzliche Geschlossenheit und Ordnung, nicht zuletzt durch eine Harmonie gekennzeichnet, von der sich die Neuzeit ablöst. Diese Trennung vom Göttlichen und Hypostase des Endlichen berge immense Gefahren. Man hat dies als Ablehnung der Neuzeit mißverstanden. Deren Ressourcen sieht Guardini in der Tat an ihr Ende gelangt. Er eröffnet aber zugleich eine künftige Perspektive: auf den Glauben, der in der Moderne seine Selbstverständlichkeit verloren hat und damit ein neues eschatologisches Bewußtsein ermöglicht. Insgesamt ist Guardini nur zu verstehen, wenn man seinen janusköpfigen Blick, zurück in die Vergangenheit und in die offene nach-neuzeitliche Zukunft voraus, würdigt.

»Die Personalität ist dem Menschen wesentlich; sie wird aber dem Blick erst deutlich, wenn sich durch die Offenbarung in Gotteskindschaft und Vorsehung das Verhältnis zum lebendig-personalen Gott erschließt.«

Grundlegend für Guardinis philosophische Morphologien und Phänomenologien ist seine Gegensatzlehre (u. a. 1925 und 1955 in verschiedenen Fassungen vorgelegt). Der Gegensatz verweist auf das unverfügbare Gesetz der Polarität und unterscheidet sich damit ebenso von der spekulativen Dialektik Hegels wie auch von der Dialektik der Paradoxalität bei Kierkegaard und in der Existenzphilosophie. Vom einzelnen Phänomen sucht Guardini in einem gleitenden Übergang auf das umgreifende Ganze zu gelangen und umgekehrt. Gegensätzlichkeit ist ihm zufolge »unableitbar«, weil ihre Pole nicht auseinander zu deduzieren und auch nicht aufeinander zurückzuführen sind. Überdies bedarf der Begriff der Anschauung und umgekehrt.

Guardini sah sich selbst bewußt eher am Rande der akademischen Welt (es wird berichtet, daß er das Hörsaalgebäude, als Ausdruck von Distanz und Respekt gleichermaßen, vor jeder Vorlesung umrundete). So übte er eine legendäre Strahlkraft auf unterschiedliche Geister, von Hannah Arendt bis Viktor von Weizsäcker, aus, hatte aber im engeren akademischen Sinn kaum Schüler. Guardinis Denkstil war wesentlich künstlerisch bestimmt, weshalb er in den späten Jahren auch in der Münchener Akademie der Schönen Künste eine herausgehobene Wirkungsstätte finden sollte.

In seiner Münchener Zeit wandte sich Guardinis Deutungskunst auch Phänomenen wie dem Film zu. Wenn er schon mit der Schrift Der Heiland 1935 eine profunde christliche Kritik der NS-Ideologie vorgelegt hatte, so konnte er daran 1950 mit der Untersuchung Der Heilsbringer anknüpfen, einer bahnbrechenden Studie für das Verständnis von totalitären Ideologien als Politische Religionen.

Wenig bekannt ist Guardinis Bemühung um ein hegendes »Ethos der Macht«, das gegenüber den anonymen Mächten zur Geltung zu bringen sei, die seiner Diagnose gemäß immer deutlicher zutage treten, das aber auch die charismatische Macht und Herrschaft zu domestizieren weiß.

Schriften

  • Von heiligen Zeichen, Würzburg 1922.
  • Der Gegensatz. Versuche zu einer Philosophie des Lebendig-Konkreten, Mainz 1925.
  • Christliches Bewußtsein. Versuche über Pascal, Leipzig 1935.
  • Der Herr. Betrachtungen über die Person und das Leben Jesu Christi, Würzburg 1937 (16. Aufl. 1997).
  • Welt und Person. Versuche zur christlichen Lehre vom Menschen, Würzburg 1939.
  • Der Tod des Sokrates, Bern 1945.
  • Das Ende der Neuzeit. Ein Versuch zur Orientierung, München 1950.
  • Die Macht. Versuch einer Wegweisung, München 1951.
  • Ethik. Vorlesungen an der Universität München, hrsg. v. Hans Mercker, 2 Bde., Ostfildern 1993.

Literatur

  • Berthold Gerner: Romano Guardini in München. Beiträge zu einer Sozialbiographie, 3 Bde., München 1998–2005.
  • Franz Henrich: Romano Guardini, Regensburg 1999.
  • Markus Zimmermann: Die Nachfolge Jesu Christi. Eine Studie zu Romano Guardini, Paderborn 2004.
Der Artikel wurde von Harald Seubert verfaßt.