Triest

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Norditalien

Die norditalienische Küstenstadt Triest an der Adria, Hauptstadt der autonomen Region Friaul-Julisch Venetien, fast gänzlich von slowenischem Staatsgebiet ummantelt, war vor 1918 der bedeutendste Handels- und Kriegshafen des habsburgischen Imperiums. Die Habsburger haben in einer fünfeinhalb Jahrhunderte währenden, nur gelegentlich unterbrochenen Herrschaft, die 1382 begann, unverkennbare Spuren hinterlassen.

Das berühmteste königlich-kaiserliche Bauwerk, das eigenartige und hochromantische Schloß Miramare aus weißem Kalkstein, errichtet in den Jahren 1856–60 für Erzherzog Ferdinand Maximilian, dem späteren kurzlebigen »Kaiser von Mexiko «, befindet sich wenige Kilometer außerhalb der Stadt, in der Bucht von Grigano. In Triest selbst trifft man häufig auf das Emblem des Doppeladlers sowie auf Bauten und Straßenzüge, die an die Ringstraße in Wien, an Brünn, Prag oder Budapest erinnern. Maria Theresia von Österreich (➞ Leuthen) und ihr Sohn Kaiser Joseph II. ließen hier Stadtviertel errichten, deren Namen noch heute an ihre Erbauer erinnern: den Borgo Teresiano und Borgo Giuseppino. Auf dem Hauptplatz erhebt sich eine Säule Kaiser Karls VI., dessen Hand auf seine große Stiftung, den Freihafen, weist. Der Platz trägt heute allerdings den Namen Piazza dell’Unità d’Italia, »Platz der italienischen Einheit«, und letztere war gerade in Triest eine eher gefährdete und problematische Sache. Als typische Grenzund Knotenpunktstadt vereinte Triest in sich alle Reize und Spannungen eines »multikulturellen« Gebildes. Hier trafen romanische, slawische und germanische Einflüsse aufeinander und bildeten eine einzigartige Mischung.

In seiner wirtschaftlichen und kulturellen Blütezeit, in den drei Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg, zählte Triest etwa 225 000 Einwohner, darunter 120 000 Italiener, 60 000 Slowenen, 12 000 DeutschÖsterreicher, 2 500 Kroaten sowie 30 000 Ausländer aus aller Welt: Griechen, Armenier, Türken oder Engländer. Dazu kam eine nicht unbedeutende jüdische Bevölkerungsschicht, deren berühmtester Sproß der »italienische Joyce« Italo Svevo ist, Autor des Jahrhundertromans Zenos Gewissen. Im 19. Jahrhundert kam es in Triest zu einem wahren Boom des Fortschritts: Josef Ressel entwickelte dort 1827 die Schiffsschraube, 1831 wurde die Generali-Versicherung, 1833 der Österreichische Lloyd gegründet, 1857 unter der Leitung von Carl Ritter von Ghega die Bahnlinie Wien– Triest eröffnet, und ab 1870 gab es gar eine direkte Verbindung nach Bombay.

Gleichzeitig mit dem wirtschaftlichen Aufstieg unter österreichischer Herrschaft wuchs der »Irredentismus« der Italiener, der insbesondere nach der Einigung Italiens zunehmend an Sprengkraft gewann. Wobei sich die italienischen Nationalisten in einer paradoxen Lage befanden, die der Triester Schriftsteller Scipio Slataper, der sich als »Slawe, Deutscher und Italiener « zugleich sah, so beschrieb: »Alles, was dem Handel dient, bedeutet Vergewaltigung der Italianità – und was diese wirklich fördert, schadet jenem.« Dazu paßt auch die Ironie, daß der Märtyrer der Nationalbewegung, Guglielmo Oberdan, als Wilhelm Oberdank und Sohn einer Slowenin und eines Österreichers geboren wurde. 1909 beschrieb Herrmann Bahr das Dilemma, an dem die Monarchie bald insgesamt scheitern sollte: »Irredentisten« würden aus dem Gefühl der Fremdheit heraus gezüchtet, man müsse ihnen eine Heimat geben, um sie, wie man heute sagen würde, zu »integrieren«: »Ihr treibt jeden Italiener aus Österreich heraus, dem ihr die Wahl stellt, ein Italiener oder Österreicher zu sein! Es muß ihm möglich werden, als Italiener ein Österreicher zu sein. Wie denn unser ganzes österreichisches Problem dies ist, daß es uns möglich werden muß, Österreicher deutscher oder slawischer oder italienischer Nation zu sein.« Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Triest an Italien angeschlossen. Die Umstellung fand nur langsam statt. 1925 verzeichnete Franz Werfel in seinem Tagebuch, Triest sei »immer noch österreichisch. Die Rasse stark austrifiziert. Nicht zum Vorteil.« Unter der faschistischen Herrschaft folgte eine zum Teil äußerst brutale »Italianisierung « der slowenischen Bevölkerung, ein Drama, das im Laufe der folgenden Jahrzehnte eskalierte und am Ende des Zweiten Weltkriegs auch die Karsthöhlen bei Triest mit Massengräbern von Italienern, Deutschen und Kroaten füllte. Nach dem Krieg wurde Triest zum Freistaat unter Aufsicht der Vereinten Nationen erklärt. 1954 wurde die Stadt endgültig italienisch, während Istrien Jugoslawien zugesprochen wurde. Die Wunden zwischen Italienern und Slowenen sind seither allerdings nie ganz verheilt. Dagegen ist heute die Erinnerung an die Tage der Habsburgermonarchie überwiegend positiv, trotz all des vergossenen Blutes der italienischen Freiheitskämpfer.

Die deutsche Kultur hatte in Triest zwar stets eine gewisse Rolle gespielt, jedoch nie eine richtige Heimat gefunden. »Es gibt hier kein deutsches Publikum«, schrieb 1855 der Dichter Robert Hamerling: »Ich bin der einzige Deutsche in Triest«. Ähnlich wie bei dem jungen Iren James Joyce, der ein Jahrzehnt in der Stadt verbrachte, war es eher der Reiz des Exils und des Fremden, der deutschsprachige Dichter und Künstler beflügelte. Triest war eine Pforte der alten deutschen Sehnsucht nach dem Süden. Hier sah Adalbert Stifter sein »Sehnen seit vielen Jahren in Erfüllung gegangen«, denn er erblickte zum erstenmal das Meer, hier malte Egon Schiele Hafenszenerien und Fischerboote, hier wurde Franz Grillparzer fasziniert vom »Gewimmel von Menschen aller Kleidung und Sprache«, und Rainer Maria Rilke schrieb auf dem nahegelegenen Schloß Duino seine berühmten Duineser Elegien. Theodor Däubler, der Dichter des Nordlichts, verklärte seine Heimatstadt Triest als »das Land, wo alle Wesen traumhaft schauen, an einem blauen Wundermeer«. Die Strahlkraft dieses Zaubers und des »paneuropäischen« Erbes ist trotz der Erschütterungen des 20. Jahrhunderts noch heute spürbar. »Es gibt Tage und Orte, an denen Triest nur eine seiner Facetten hervorkehrt, nur venezianisch oder nur slawisch erscheint, nur österreichisch oder nur ungarisch, aber auch, unter gewissen Umständen, nur jüdisch, nur griechisch, levantinisch, oder sogar französisch«, schrieb die österreichische Schriftstellerin Hilde Spiel noch 1980 über die »vielgesichtige Stadt«.

Literatur

  • John Morrissey/Franz M. Rinner/Claudia Strafner: Triest–Trst–Trieste, Mödling/Wien 1992.
  • Claudio Magris/Angelo Ara: Triest. Eine literarische Hauptstadt in Mitteleuropa, München 2005.
  • Scipio Slataper: Mein Karst, Klagenfurt 2000.
Der Artikel wurde von Martin Lichtmesz verfaßt.