Postdemokratie: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 21. September 2016, 19:18 Uhr
Postdemokratie bezeichnet eine politische Ordnung, die nach dem Ende des »demokratischen Zeitalters« entstehen könnte. Entsprechende Prognosen – von Theorien zu sprechen wäre überzogen – entstanden in den 1990er Jahren als Reaktion auf den Überoptimismus derjenigen, die mit dem »Ende der Geschichte« auch die Erwartung eines definitiven, globalen Übergangs zu Demokratie und Marktwirtschaft verknüpften. Die Annahme einer kommenden Postdemokratie geht stattdessen davon aus, daß die großen geschichtlichen Bewegungen, vor allem Globalisierung einerseits, Fragmentierung der modernen Gesellschaften andererseits, zur Zerstörung der Funktionsbedingungen einer Demokratie führen.
»Einerseits ist es in der Tat der Prozeß der Differenzierung, der die demokratische Führung der komplexen Gesellschaften unwahrscheinlich macht … Andererseits ist es die größere Verwundbarkeit der Informationsgesellschaften, die immer drastischere und heimtückischere Formen der Verminderung gesellschaftlicher Komplexität erfordert, bis hin zur äußersten Grenze der subliminalen Überredung, welche die Massenkommunikationsmittel gefördert haben.«
Im wesentlichen lassen sich drei Interpretationen voneinander unterscheiden:
- Die Nostalgiker setzen im Grunde die Linie der linken Kapitalismuskritik fort, die eine »wahre« Demokratie unter den Bedingungen des Privatbesitzes an Produktionsmittel für unmöglich hält und mit dem Erfolg des »Neoliberalismus« das Ende der Demokratie überhaupt für möglich (Jacques Rancière) oder unausweichlich (Colin Crouch) hält.
- Die Realisten gehen davon aus, daß Demokratie in einer Massengesellschaft sowieso nie etwas anderes ist als ein mehr oder weniger gut ausbalanciertes oligarchisches System, das als »demokratische Fürstenherrschaft« (Danilo Zolo) gekennzeichnet werden kann und in Zukunft die Illusionen über jede weitergehende Demokratisierung (Demokratie) abbauen und sich ganz auf die Sicherstellung der eigenen Funktionstüchtigkeit konzentrieren wird (Jean-Marie Guéhenno).
- Die Apokalyptiker erachten den Untergang der Demokratie westlicher Prägung nicht nur für zwangsläufig, sondern auch für wünschenswert, da die Demokratie untauglich zur Bewältigung der Aufgaben sei, die das Informationszeitalter stelle; als »System von Verlierern« (Ian Angell) diene es bloß dazu, mit sentimentalen Theorien die Wirklichkeit zu kaschieren, die bloß eine Konkurrenz verschiedener Systeme um – materielle und immaterielle – Ressourcen kenne.
So zutreffend viele Beobachtungen im Zusammenhang mit dem Paradigma »Postdemokratie« wirken mögen, muß man doch feststellen, daß hier das eigentlich politische Element dramatisch unterschätzt wird. Das wirkt sich vor allem in zwei Richtungen aus: die Unbesorgtheit angesichts des Zerfalls der Staatlichkeit und die Ignoranz gegenüber der Frage, wie sich eigentlich Herrschaft im postdemokratischen Zeitalter begründen lassen soll, wenn gar keine Möglichkeit besteht, den »Legitimitätsglauben« (Max Weber) zu konstituieren.
»Die Demokratie ist … speziell nicht in der Lage, mit den neuen Bedingungen der Weltwirtschaft umzugehen. Die jüdisch-christliche Moral war ideal für die Wirtschaft des Industriezeitalters, weil sie ein Zusammengehörigkeitsgefühl verlieh und für Loyalität sorgte. Die Voraussetzung ist im Informationszeitalter nicht mehr erforderlich … Loyalität gegenüber einem Staat oder einer »Gesellschaft« ist der Wirtschaft hinderlich.«
Literatur
- Ian Angell: The New Barbarian Manifesto. How to Survive the Information Age, London 2000.
- Colin Crouch: Postdemokratie, Frankfurt a. M. 2008
- Karlheinz Weißmann: Post-Demokratie, Kaplaken, Bd 15, Schnellroda 2009.
- Danilo Zolo: Die demokratische Fürstenherrschaft. Für eine realistische Theorie der Politik, Göttingen 1997.