Weltanschauung

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Weltanschauung ist ein sehr deutsches Wort und wird in anderen Sprachen häufig ohne Übersetzung verwendet. Ursprünglich bedeutete es soviel wie die Fähigkeit des Menschen, die Welt auf Begriffe zu bringen, später die Integration von Erfahrung, Beobachtung und Erkenntnis in ein geistiges Ganzes, das uns Beurteilung und Wertung erlaubt. Regelmäßig wird betont, daß die Weltanschauung aus »unserer psychischen Totalität« (Wilhelm Dilthey) hervorgeht, weshalb sie nie ganz rational begründbar ist, und ihr etwas Unabgeschlossenes, Prozessuales anhaftet, was sie von Denksystemen – religiöser beziehungsweise philosophischer Natur – oder einer elaborierten wissenschaftlichen Theorie unterscheidet. Ein Differenzpunkt, der sie auch von den Ideologien als Ersatzreligionen trennt, die sich seit der Aufklärung in mannigfacher Form ausbildeten.

»Ehe der Denker überhaupt an die Aufgabe der theoretischen Formulierung herantritt, verfügt er schon über einen ganzen Schatz von »Vorurteilen«, Tendenzen und Wertgesichtspunkten, mittels deren er das chaotische Durcheinander der Außenwelt zu sichten trachtet. Das fertige System ist zumeist die nachträgliche begriffliche Rechtfertigung des a priori Gefühlten. Politische Theorien sind emotionale Gebilde, getragen und gespeist vom Willen zur Wirkung.«

Peter Richard Rohden

Die Scheidelinie zwischen Weltanschauung und Ideologie ist allerdings nie ganz klar gezogen, und bezeichnenderweise wurde in der NS-Zeit »Weltanschauung« zum Ersatzbegriff für das, was eigentlich Ideologie war. Hier zeigte sich auch, daß es Phasen der Geschichte gibt, in denen das Verlangen nach Weltanschauung massenhaft auftritt und allgemein verbreitet ist, während in ruhigeren Zeiten dieses Bedürfnis erlahmt oder die private Weltanschauung kein Bedürfnis nach öffentlicher Anerkennung beziehungsweise Abgleich mit den vorherrschenden Überzeugungen kennt.

Dieser Hintergrund erklärt hinreichend den Vorbehalt der konservativen Seite gegenüber Begriff und Sache der Weltanschauung. Die Präferenz für das Pragmatische, das Konkrete und den Realismus führen hier zu der Annahme, daß man einer Weltanschauung entraten könne, daß man im Gegensatz vor allem zur Linken keine – ideologischen – Krücken brauche, um die Wirklichkeit zu erkennen. Diese Auffassung zeugt entweder von einer Orientierung am Positivismus, der dem Konservativen von Hause fremd ist, oder von einer gewissen Naivität, die ihrerseits als Ausdruck »natürlicher Weltanschauung« (Max Scheler) betrachtet werden kann, weil sie die eigenen Auffassungen für selbstverständlich und unhinterfragbar hält.

»Nun ist aber der »Antiideologismus« schon deswegen falsch, weil jeder Mensch seiner Natur nach ideologiebedürftig ist.«

Erik von Kuehnelt-Leddihn

Dagegen muß jede reflektierte Haltung zu der Erkenntnis kommen, daß es im Menschen ein unabweisbares Bedürfnis gibt, ein möglichst vollständiges Bild von sich selbst und dem Zusammenhang des Seins zu entwerfen und daß dieses Bedürfnis in Spannung zur »Aspektstruktur« (Karl Mannheim) menschlicher Erkenntnis steht, das heißt, daß ein vollständiges – objektives – Begreifen nicht möglich ist, sondern daß das Begreifen standortbezogen bleibt, ohne daß das Bedürfnis nach Weltanschauung deshalb verschwände.

Von hier aus erklärt sich auch der enge Zusammenhang der Weltanschauung mit jedem »Legitimitätsglauben« (Max Weber, Legitimität) und der Annahme einer prinzipiell sinnvollen Ordnung der Welt. Die Verbindung des einen mit dem anderen bleibt sogar dann erhalten, wenn ein Sinn prinzipiell bestritten wird und eine skeptische oder zynische Intelligenz sich nur mehr an der »Sinngebung des Sinnlosen« (Theodor Lessing) versucht.

Literatur

  • Hermann Heller: Die politischen Ideenkreise der Gegenwart [1926], zuletzt: Gesammelte Schriften, Bd 1, Leiden 1971.
  • Karl Jaspers: Psychologie der Weltanschauungen [1919], zuletzt München 1994.
  • Armin Mohler und Anton Peisl (Hrsg.): Kursbuch der Weltanschauungen, Schriften der Carl Friedrich von Siemens Stiftung, Bd 4, Berlin, Frankfurt a. M. und Wien 1981.
  • Peter Richard Rohden: Die weltanschaulichen Grundlagen der politischen Theorien, in: Paul Wentzcke (Hrsg.): Deutscher Staat und deutsche Parteien. Festschrift für Friedrich Meinecke zum 60. Geburtstag, München und Berlin 1922, S. 1-35.
  • Peter Richard Rohden: Die Hauptprobleme des politischen Denkens von der Renaissance bis zur Romantik, Berlin 1925.
  • Ernst Topitsch und Kurt Salamun: Ideologie. Herrschaft des Vor-Urteils, München 1972.