Vogelsang – Ordensburg

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Nordrhein-Westfalen, Eifel

Es ist eine jener wenigen Gelegenheiten zu einer weitgehend authentischen Zeitreise in die dreißiger Jahre, die sich in der Eifel knapp sieben Jahrzehnte nach dem Ende des Nationalsozialismus in Deutschland bietet. Wer den aufwendigen Weg zur Ordensburg Vogelsang unweit des Eifelstädtchens Gemünd hinter sich gebracht hat, den begrüßen am Ende einer etwa zwei Kilometer langen Zufahrt durch den Wald zwei gewaltige Reiterreliefs als Torwachen mit Fackel und Schwert. Bereits die Bauten im Eingangsbereich, die sich an die beiden Türme mit den Reliefs anschließen, geben eine Ahnung von den Ausmaßen der gesamten Anlage, die hier in gerade einmal drei Jahren, zwischen 1934 und 1936, hoch oberhalb der Urfttalsperre terrassenförmig in den Fels geschlagen wurde. Auf dem 100 Hektar großen Gelände verteilen sich Gebäudekomplexe mit einer Nutzfläche von insgesamt 70 000 Quadratmetern. Und noch etwas wird schnell deutlich: Über jenes halbe Jahrhundert, da die Burg Vogelsang in der Obhut des belgischen Militärs gewesen ist, sind Gebäudestruktur und Bausubstanz, bis hin zu zahlreichen Details, im Original konserviert worden.

Insgesamt drei Ordensburgen wurden unter Federführung der Deutschen Arbeitsfront (DAF) im Olympiajahr 1936 in Dienst gestellt: Sonthofen im Allgäu (heute von der Bundeswehr genutzt), Crössinsee nahe Falkenburg in Hinterpommern (heute von der polnischen Armee genutzt) und eben Vogelsang in der nördlichen Eifel (heute Besucherzentrum des Nationalparks Eifel), in einer guten Stunde mit dem Auto von Köln oder Bonn zu erreichen. Gemeinsam war allen drei Ordensburgen ihre Zweckbestimmung: die Auslese und Erziehung des Führernachwuchses der NSDAP. Und bei allen drei Burgen handelte es sich um Neubauten. Historisch war einzig die Terminologie, welche an die mittelalterlichen Deutschordensburgen als Mischung aus Burg, Kaserne und Kloster angelehnt war. Die zunächst geplante Errichtung einer vierten Ordensburg, die auf dem Gelände der mittelalterlichen Marienburg nahe Danzig vorgesehen war, wurde nicht mehr umgesetzt. Auch für die Burg Vogelsang sind noch weitaus mehr und weitaus größere Bauabschnitte letztlich in der Schublade liegengeblieben.

Fertiggestellt wurden auf Vogelsang beispielsweise der Eingangsbereich mit Tor und Türmen und der 48 Meter hohe Bergfried. In seinem 20 Meter hohen Kultraum stand einst eine überlebensgroße, athletische Holzfigur. An der Wand dahinter waren die Namen der Nationalsozialisten angebracht, die beim Putsch 1923 das Leben ließen (➞ München: Feldherrnhalle). Gut zu erkennen ist bis heute das in den Steinboden eingearbeitete Hakenkreuz. Verwirklicht und zumeist bis heute erhalten wurden auch das Gemeinschaftshaus mit Adlerhof, die Burgschänke als Speisesaal, zehn Kameradschaftshäuser als Unterkunft für je 50 Absolventen, vier Hundertschaftshäuser, der Thingplatz, Sportanlagen mit Tribüne, Turn- und Schwimmhalle, das Haus der weiblichen Angestellten und das Denkmal »Fackelträger«. Nicht mehr zur Ausführung kam hingegen kriegsbedingt das »Haus des Wissens«, das als Bibliothek mit einer Grundfläche von 100 mal 300 Metern die anderen Gebäude weit überragt hätte; sein 100 Meter hoher Turm wäre bis Köln zu sehen gewesen. Geplant war überdies ein »Kraft durch Freude«-Hotel mit 2 000 Betten. Auch sollte Vogelsang die größte Sportstätte Europas beherbergen, doch wurden die teilweise begonnenen Arbeiten zu Kriegsbeginn eingestellt. Gearbeitet wurde in der Eifel mit Stahlbeton, den man dann außen mit Grauwacke verkleidete. Der Naturstein mit Regionalbezug – Bruchstein ist im Rheinland als Baustoff weit verbreitet – tut seine Wirkung. Eine harmonische Gesamtanmutung von Standort und Gebäudeform ist der Anlage nicht abzusprechen.

Die Ordensburg Vogelsang war die einjährige Station eines insgesamt auf dreieinhalb Jahre angelegten Schulungsverlaufs. Die Lehrgangsteilnehmer, genannt Junker, kamen aus ganz Deutschland, waren im Durchschnitt um die 25 Jahre alt und wurden auf Vorschlag der Gauleitungen von DAF-Chef Robert Ley ausgewählt. Voraussetzung waren erste Bewährung in der Parteiarbeit, völlige körperliche Gesundheit, Arbeits- und Militärdienst sowie ein Abstammungsnachweis. Auch sollten die Bewerber verheiratet sein, schulische Leistungen indes spielten beim Aufnahmeverfahren keine Rolle. Der Stundenplan sah vor: 6 Uhr Frühsport, 7 Uhr Fahnenappell, 8 bis 10 Uhr Arbeitsgemeinschaften, 10 bis 12 Uhr Vortrag im großen Hörsaal durch Gast- oder Hauptlehrer, nachmittags Sport, 17 bis 18.30 Uhr Arbeitsgemeinschaften, 22 Uhr Zapfenstreich.

»Ihr seid die Fackelträger der Nation. Ihr tragt das Licht des Geistes voran im Kampfe für Adolf Hitler«, so lautet noch heute die teilweise zerstörte Inschrift auf dem Steinblock des fünf Meter hohen Fackelträgers am Sonnwendplatz. Die in den dreißiger Jahren typischen, klassischen und zugleich strengen Züge der dargestellten Athleten finden sich auch im Sportlerrelief an der Ehrentribüne über dem Sportplatz wieder. Die meisten Plastiken stammen von dem Bildhauer Willy Meller, der zudem mehrere Teppichzyklen beisteuerte. Erhalten ist auch das Marmorputzmosaik des Künstlers Ernst Zoberbier in der Schwimmhalle. Die dargestellten archaischen Ruderer bilden heute die Kulisse für private Besucher und die örtlichen Schulklassen, die das Hallenbad aus den dreißiger Jahren in Ermangelung einer Alternative rege als Trainings- und Freizeitstätte nutzen – was in dieser unbefangenen und unkommentierten Form nicht jedem gefällt. Zu rudimentär erscheint manchem engagierten Beobachter an dem historisch belasteten »Täterort« bislang die Informations- und Aufklärungsarbeit, so daß entsprechende Bedenken in der Öffentlichkeit regelmäßig aufs neue diskutiert werden.

Während somit der eine oder andere steinerne Reichsadler heute, wohl mehr zu Dokumentations- denn zu Dekorationszwecken, zwischen den Gebäuden drapiert ist, sind die von Ferdinand Liebermann geschaffene Hitler-Bronzebüste, ein Intarsienbild des Kölner Bildhauers Josef Pabst und ein Gobelin von Peter Hecker, »Siegfrieds Tod« und »Der Kampf in Etzels Saal« darstellend, nicht mehr erhalten. Viele der auf Vogelsang vertretenen Künstler wiesen eine Verbindung zu dem Maler Werner Peiner auf. Dieser hatte, protegiert von Hermann Göring, im nahegelegenen Eifelörtchen Kronenburg eine (nach Göring benannte) Meisterschule für Malerei ins Leben gerufen, deren Schüler beispielweise Willi Sitte war, der später in der DDR reüssierte. Eine vielbeachtete Werner-Peiner- Werkschau in Gemünd rief im Sommer 2012 den – vergeblichen – Protest von Antifa- Gruppen hervor.

Anders als Kronenburg, das bis heute eine Anziehungskraft auf zahlreiche Künstler ausübt, geriet die Ordensburg Vogelsang als militärisches Sperrgebiet über viele Jahre in Vergessenheit, zumal sie im Jahr 2006 überhaupt erstmals in ihrer 70jährigen Geschichte der Öffentlichkeit zugänglich war. Zunächst hatten die Wehrmacht (1939–41), eine Adolf-Hitler-Schule (ab 1941) und die Hitler-Jugend (1944) das Gelände genutzt. Im Februar 1945 fiel Vogelsang in die Hände der vorrückenden Alliierten. Die Gebäude standen leer und wurden von der notleidenden Bevölkerung der Umgebung geplündert, um den Restbestand der Bibliothek in einem Umfang von 22 000 Bänden stritten sich nach dem Krieg die zerstörten Universitäten in Köln und Bonn. 1950 übernahmen dann die belgischen Streitkräfte den Standort – den sie um ein schickes, heute gut erhaltenes Truppenkino bereicherten – und gaben ihm den Namen »Camp Vogelsang«. Zum 31. Dezember 2005 wurde er aufgegeben. Inzwischen heißt die Burg Vogelsang offiziell »Vogelsang ip – internationaler Platz im Nationalpark Eifel« und dient als dessen Besucherzentrum und Verwaltung. Ein Großteil der Gebäude wird zur Zeit aufwendig saniert, die konkrete Umsetzung sorgt regelmäßig für Streit in der nordrhein- westfälischen Landespolitik. Langfristig soll das Nationalpark-Zentrum um eine NS-Dokumentationsstätte und Räume für Wechselausstellungen erweitert werden. Der ehemalige Landeskonservator Udo Mainzer sagte anläßlich seines Abschieds im September 2011: Daß es gegen viele Widerstände gelang, die Ordensburg Vogelsang zu retten, sei ein echter Glücksfall gewesen.

Literatur

  • Hans-Dieter Arntz: Ordensburg Vogelsang im Wandel der Zeiten, Aachen 2007.
  • Hans-Dieter Arntz: Vogelsang. Geschichte der ehemaligen Ordensburg, Aachen 2010.
  • Franz Albert Heinen: Vogelsang. Im Herzen des Nationalparks Eifel, Düsseldorf 2006.
Der Artikel wurde von Gerald Franz verfaßt.