Prag – Universität

Aus Staatspolitisches Handbuch im Netz
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Die Prager Universität, »Alma Mater Carolina«, war die erste Bildungsstätte dieser Art in Mitteleuropa und im deutschen Sprachraum. Am 7. April 1348 wurde sie vom römisch-deutschen König (Kaiser ab 1355) Karl IV. (➞ Karlstein) ins Leben gerufen. Dieser Herrscher aus dem Geschlecht der Luxemburger nannte in seiner Stiftungsurkunde als Begründung: »Damit unsere getreuen Untertanen, welche es nach der Frucht der Wissenschaft unaufhörlich hungert, im eigenen Lande den gedeckten Tisch finden und es für überflüssig halten, Wissenschaft suchend den Erdkreis zu umwandern, fremde Völker aufzusuchen, oder in auswärtigen Ländern zu betteln.«

Das Gebäude am heutigen Ovocný trh (Obstmarkt) beherbergte bald eine der renommiertesten Universitäten Europas. Die Eintracht unter den Studenten und Professoren wurde jedoch durch die in Böhmen grassierende Bewegung der Hussiten geschädigt. Der Theologe Jan Hus, seit 1409 Rektor der Prager Universität, wetterte gegen den weltlichen Besitz der Kirche, die Habsucht vieler Priester und das Lasterleben mancher Päpste. Auch forderte er eine strenge, asketische Lebensweise und eiferte gegen jedweden Luxus wie etwa die Kleidermode. Besonders befremdlich wirkte, daß Hus seine Vorträge nicht in der üblichen Gelehrtensprache Latein, sondern auf tschechisch hielt.

Der Eifer des Jan Hus richtete sich aber nicht nur gegen die römisch-katholische Kirche, sondern besaß auch einen starken nationalen Aspekt. In Böhmen bestand die Oberschicht fast ausschließlich aus Deutschen, die dank ihres Unternehmergeistes in den Städten das Patriziat und die Zünfte dominierten, den Handel beherrschten, die Verwaltung, die Bildungsstätten. Diese deutschen Menschen brandmarkte Hus als landfremde Eindringlinge und Unterdrücker. Damit fand er sowohl beim tschechischen Frühproletariat Anklang als auch beim Kleinadel Böhmens, der um den Verlust seiner politischen und ökonomischen Vorrechte bangte.

Die nationalistischen Haßpredigten von Hus beeinflußten zeitweise auch König Wenzel von Böhmen. Er griff 1409 in die Autonomie der Prager Universität ein. Bisher hatten vier nationes (Sachsen, Bayern, Polen und Tschechen) gleichberechtigt den Rektor gewählt; nun sollte dieses Privileg zu drei Vierteln den wenigen tschechischen Studenten zustehen. Daraufhin verließen am 16. Mai 1409 nahezu 2 000 Professoren und Studenten die Universität und nahmen unter den Hohngesängen der tschechischen Volksmenge ihren Weg nach Leipzig, Heidelberg und Erfurt.

Die Hussiten wurden 1415 vom Papst und vom Konzil in Konstanz zu Ketzern erklärt. Die Prager Universität aber hatte 1417 offiziell das hussitische Bekenntnis angenommen. Dies führte im Laufe des 15. Jahrhunderts zu einer weitgehenden Isolierung der Universität von der übrigen europäischen Bildungslandschaft, und ihre Bedeutung sank. In Prag studierten und lehrten fortan nur mehr böhmische Hussiten. Selbst einheimische Katholiken gingen zum Studium ins Ausland.

Im Jahre 1654 wurde die Universität zu Ehren Kaiser Ferdinands III. in Karl-Ferdinands- Universität umbenannt. Die Unterrichtssprache blieb über Jahrhunderte Latein. Erst der Philosophieprofessor und spätere Rektor Karl Heinrich Seibt begann 1764, Vorlesungen in Prag auf deutsch zu halten. Schon 20 Jahre später wurde dann die lateinische Unterrichtssprache offiziell durch die deutsche ersetzt. 1848 erreichten die Studenten mit der Aufnahme des Tschechischen als Lehrsprache die Zweisprachigkeit.

1882 gab Österreichs Kaiser Franz Joseph I. (➞ Königgrätz) den Forderungen der nationalistischen Tschechen nach und teilte die Universität in eine deutsche und eine tschechische Lehranstalt. Somit existierten in Prag zwei unabhängige Hochschulen mit sämtlichen Fakultäten.

Nach Gründung der Tschecho-Slowakei 1918 als selbständiger Staat begann eine zunehmende Diskriminierung der deutschen Nachfolge-Universität. 1920 wurde durch die »Lex Mareš« (benannt nach ihrem Initiator, dem Philosophieprofessor František Mareš) die tschechische Universität zur alleinigen Rechtsnachfolgerin der Karls-Universität erklärt und in »Univerzita Karlova« zurückbenannt unter Verzicht auf den Namen des Habsburger Kaisers. Die deutsche hielt am Namen Karl-Ferdinands-Universität fest. Schon 1921 gab es Überlegungen, diese Bildungsstätte ins Sudetenland nach Reichenberg (heute Liberec) zu verlegen.

1934 kam es zum sogenannten Insignienstreit. Das tschecho-slowakische Ministerium für Schulwesen forderte von den Deutschen die Auslieferung der Universitätsinsignien. Dabei handelte es sich um das mit Edelsteinen besetzte Zepter des Rektors, dessen wertvolle Amtskette, die zwölf goldenen Zepter der einzelnen Fakultäten sowie die Gründungsurkunde mit dem königlichen Siegel. Dieses Ansinnen führte zu erregten Protesten der deutschen Studenten. Dennoch mußten die Insignien am 25. November 1934 abgegeben werden. Dieser Insignienstreit belastete das Verhältnis beider Hochschulen erheblich.

Am 2. August 1939, fünf Monate nach der Errichtung des »Reichsprotektorats Böhmen und Mähren«, wurde die deutsche Universität zu Prag in Reichsverwaltung genommen. Die tschechische Karls-Universität blieb zunächst bestehen, wurde aber im November 1939 nach studentischen Unruhen für drei Jahre geschlossen.

Als im Frühjahr 1945 die Rote Armee immer näher heranrückte, sollten die Insignien der Universität am 16. April nach Deutschland in Sicherheit gebracht werden. 26 Kisten verließen an diesem Tag den Prager Hauptbahnhof Richtung Westen. In der Nacht zum 17. April fiel der Waggon im Rangierbahnhof von Pilsen einem Luftangriff der Royal Air Force zum Opfer.

Das Dekret Nr. 112 des tschechoslowakischen Präsidenten Edvard Beneš vom 18. Oktober 1945 verfügte die Auflösung der deutschen Universität zu Prag. Dies solle »auf ewig« gelten, denn eine deutsche Universität sei »eine dem tschechischen Volk feindliche Einrichtung.«

Literatur

  • Renate Dix: Die Frühgeschichte der Prager Universität, Bonn 1988.
  • Frank Rexroth: Deutsche Universitätsstiftungen von Prag bis Köln, Weimar/Wien 1992.
Der Artikel wurde von Jan von Flocken verfaßt.