Politika

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Politika (griech. Politik).
Aristoteles, 4. Jh. v. Chr.

Aristoteles’ Politik orientiert sich im Unterschied zu dem Platonischen Staat nicht an der Idee des Guten, sondern am möglichen Besten. Er legt die Empirie der Verfassungen der griechischen Welt zugrunde und durchdringt sie begrifflich im Sinne praktischer Vernunft (phronesis). Zentral ist dabei die Einsicht, daß nur in der möglichst vollkommenen politischen Gemeinschaft (politike koinonia) auch der Mensch seine eigene Vollkommenheit (eudaimonia) findet. Das vernunft- und sprachbegabte Wesen des Menschen (zoon logon echon) und seine politische Natur (zoon politikon) sind untrennbar miteinander verbunden.

Anders als Platon entwickelt Aristoteles keine universale Lehre von der idealen Polis. Ein durchgehendes kritisches Moment gegenüber Platon richtet sich gegen die Einheit als Prinzip der Polis. Platon setzte Haus und Stadt gleich; Aristoteles zielt dagegen auf eine Trennung, Grundform einer Unterscheidung zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten. Vor allem aber ist es das Gemeinschaftseigentum, der Platonische »Kommunismus«, dem Aristoteles’ Kritik gilt. Sie berücksichtigt nicht die menschliche Verschiedenheit. Eine Stadt setzt, wie Aristoteles betont, im Unterschied zum Haus (oikos) das Zusammenleben von verschiedenen Menschentypen voraus. Die Lehre der Sklaven von Natur aus, aber auch die Unterscheidung des Status von Barbaren oder Frauen gegenüber dem Vollbürger und Oikosdespoten, exemplifiziert diese Ungleichheit.

Für Aristoteles’ Begriff der Politie, dem vernünftig geführten Gemeinwesen, ist der Wechsel zwischen Regieren und Regiertwerden entscheidend. Bürger ist demzufolge nur, wer »am Richten und Regieren Anteil hat«. Zentral ist damit auch der Gedanke, daß die Stadt ihre Bürgerschaft ist, begründet auf ein »Werk der Freundschaft« und die »freie Entscheidung, miteinander zu leben«. Andere Zielbestimmungen, wie der Abschluß von Schutzbündnissen oder der Handelsverkehr, betreffen allenfalls die Begleitumstände, aber nicht das Zentrum der Politie. Welche Verfassung zuträglich ist, bemißt sich nach der Größe des Landes, dem Klima, dem Herkommen, Qualität und Quantität (poion und poson) der Bürgerschaft.

Trägerschaft für die Politie kommt nach Aristoteles dem Mittelstand zu – ganz im Sinne der in der Nikomachischen Ethik entwickelten Bestimmung der Tugend (Bestheit) als Mitte (mesotes) zwischen den Extremen.

Aristoteles hat gute und entartete Verfassungen voneinander unterschieden. Die guten Verfassungen umfassen Monarchie (mit konkreten Unterteilungen wie spartanisches Königtum, Königtum der Heroenzeit, Aisymneten wie Solon), Aristokratie und Politie. Der Aristokratie gibt Aristoteles, durchaus in Übereinstimmung mit Platon, als Herrschaft der Bestheit einen Vorrang gegenüber der Monarchie. Die Politie, die dritte der guten Verfassungen, ist, auch wenn der Begriff nicht fällt, eindeutig als Mischverfassung aus Oligarchie (Aristokratie) und Demokratie konzipiert. Sie zielt auf eine Bestheit, die nicht nur die Ausnahmebegabungen im Blick hat, sondern häufig vorkommt. Entscheidend ist auch, daß sich die Polis nicht in Reiche und Arme spalten soll, denn dann würde eine stasis, ein innerer Bruch in der Polis auftreten.

»Darum, wenn dies alles wahr und die Glückseligkeit (eudaimonia) in die richtige Tätigkeit (eupragia) zu setzen ist, so wird sowohl für den Staat im Ganzen als auch für den Einzelnen das beste Leben das tätige (praktikós) sein. Allein, das tätige Leben braucht nicht notwendig auf andere gerichtet zu sein, wie manche glauben, und nicht jene Gedanken (diánoia) allein sind praktischer Natur, welche auf die Erfolge des Handelns gerichtet sind, sondern in weit höherem Grade sind es diejenigen Betrachtungen (theoria) und Gedanken, welche um ihrer selbst willen angestellt werden und in sich selbst ihr Ziel haben (autoteles).«

Die Tyrannis ist für Aristoteles die schlechteste Verfassung, sie ist das Entartungsbild der Königsherrschaft (basileia): Doch während bei dieser noch die arete überwiegt, das Wohl des Volkes ein Ziel ausmacht, Stabilität und Maß garantiert sind, bringt die Tyrannis Schlechtheit hervor, sie generiert nur scheinbare Wohltaten. Nutzen und angenehmes Leben bestimmen den Tyrannen, und seine Herrschaft ist instabil. Mißtrauen, Kleingesinntheit, Intrige und Unfähigkeit zur Freundschaft zeichnen die tyrannische Natur aus. Die Oligarchie faßt Aristoteles als Herrschaft der Reichen auf. Allerdings unterscheidet er modellhaft nach dem Kreis der Beteiligten: vom Kreis aller mit einer hohen Steuerschätzung, über die Amtsträger bis zur völlig korrupten dynasteia, der Herrschaft einiger weniger Familien. Nur diese letzte Form sei mit der Gesetzesherrschaft unvereinbar. Die Demokratie ist auch nach Aristoteles in ihrer Reinform eine problematische und defizitäre Herrschaftsform. In ihr bestehen Freiheit (eleutheria) und Gleichheit, doch sie gewichtet nicht nach der Würdigkeit (axia). Deshalb kennt auch Aristoteles eine Zerrform der Demokratie, in der das Volk, von Demagogen und Schmeichlern aufgepeitscht, zum Despoten wird. Dennoch können – und dies steht im deutlichen Gegensatz zu Platon – defiziente Herrschaftsformen in einer Verbindung mit einer anderen Verfassung ein mögliches Bestes hervorbringen. Eben dies zeigt Aristoteles im Blick auf die Politie.

Weiterhin geht er dem Problem von Verfassungswandel und Umbruch vor dem Interesse nach der Erhaltung (soteria) einer guten Verfassung nach. Zu unterscheiden sind Ursachen (archai) und Gründe (aitiai) des Verfassungsumsturzes. Die Ursachen liegen darin, daß Aufrührer Gewinn und Ehre suchen. Der tiefere Grund ist aber in ihrer Seelenlage zu suchen, vor allem in der Empörung, die entsteht, wenn die Reallage der Polis nicht der eigenen Auffassung von Gerechtigkeit entspricht.

Die Entscheidung über die bestmögliche Lebensform erfordert eine Hierarchie zwischen dem Ziel, das um seiner selbst willen gewollt wird (hou heneka), und den Mitteln, so daß Arbeit der Muße, Krieg dem Frieden, das Lebensnotwendige dem eigentlich Guten zu dienen hat. Die Lebensform des Bürgers ist nach Aristoteles das mögliche Beste für die meisten. Die – gleichsam göttliche – überpoltitische Lebensform des Philosophen aber, der wie ein Fremder (xenikos) in der Polis lebt, bedarf ihres Schutzes. Philosophie und Politik sind daher, woran im 20. Jahrhundert Leo Strauss erinnert hat, komplementär aufeinander verwiesen.

Die Wirkungsgeschichte der Aristotelischen Politik ist im Hellenismus nur gering. Polis und Stadt treten in den Hintergrund. Die arabischen Philosophen des Mittelalters, Avicenna, Averroes, aber auch der Jude Maimonides, studieren die Politik vor der Frage nach dem Zusammenhang von Offenbarungsreligion, Politik und eigenständiger Philosophie.

Mit den Übersetzungen von Ethik und Politik ins Lateinische setzte eine umfängliche Aneignung ein. Eine besonders tiefe und nachhaltige Wirkung erfuhr die Politik indessen im 20. Jahrhundert – und dies nicht zuletzt im Schatten des Totalitarismus. Hannah Arendt, Dolf Sternberger, Leo Strauss und in Amerika der Neoaristotelismus von Alasdair MacIntyre sind besonders prominente Beispiele dafür.

Ausgabe

  • Nach der Übersetzung von Franz Susemihl, hrsg. von Wolfgang Kullmann, Hamburg: Meiner 1994.

Literatur

  • Günther Bien: Die Grundlegung der politischen Philosophie bei Aristoteles, München 1973.
  • Günther Patzig (Hrsg.): Aristoteles’ ›Politik‹. Akten des XI. Symposium Aristotelicum, Göttingen 1990.
  • Manfred Riedel: Metaphysik und Metapolitik. Studien zu Aristoteles und zur politischen Sprache der neuzeitlichen Philosophie, Frankfurt a. M. 1975.
Der Artikel wurde von Harald Seubert verfaßt.