Martin van Creveld

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Creveld, Martin van,
geb. 5. März 1946 Rotterdam.
Martin van Creveld im House of Commons, 2008

Der israelische Militärhistoriker und -theoretiker erwies sich durchgehend als unbequemer Querdenker, Freigeist und kritischer Realist. Während seine erfolgreichsten Werke militärhistorischen und strategischen Themen gewidmet sind, äußerte er sich oft kontrovers zu anderen Themen, wie z. B. Migration und deren Folgen, Geschlechterrollen und Feminismus, Staatszerfall oder Meinungsfreiheit. Van Creveld wirkt ideologisch ungebunden, stellt das Objektive rücksichtslos in den Vordergrund und pflegt dabei einen sehr direkten, polarisierenden Kommunikationsstil. Dies reduziert seine Beliebtheit und gleichzeitig den Kreis der Zuhörer, woraufhin er aus politischen Erwägungen heraus in manchen Einrichtungen zur persona non grata erklärt wurde.

Sein Publikum besteht überwiegend aus sicherheitspolitisch und militärhistorisch Interessierten. Weil seine Veröffentlichungen häufig die Quintessenz von Krieg beleuchten, nimmt er eine Ausnahmestellung ein, die international wahrgenommen wird. Er scheut sich nicht, die Funktion und Entwicklung von Krieg nüchtern zu schildern und Schlußfolgerungen zu ziehen, die dem Zeitgeist widersprechen. 1982 erschien sein Vergleich zwischen dem US-Militär und der Wehrmacht, Kampfkraft (Fighting Power), auf englisch, 1989 auf deutsch (mehrere Auflagen). Trotz seiner darin enthaltenen Schlußfolgerung, daß die Wehrmacht ein vorbildlicher Militärapparat war, betont er dennoch in späteren Veröffentlichungen deren indirekte moralische Mitverantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus. Ohne die latente Unterstützung durch die Wehrmacht wären diese, aus Sicht van Crevelds, nicht möglich gewesen.

Berühmt wurde der Autor 1991 durch das Buch Die Zukunft des Krieges (The Transformation of Warfare), das erst 1998 in deutscher Sprache erschien. Zu diesem Zeitpunkt galt es schon lange als Standardwerk in jeder englischsprachigen Militärakademie bzw. Universität der Welt. Inhaltlich erfaßt es die Veränderungen der Kriegführung nach dem Ende des Kalten Krieges und prognostiziert eine weitaus komplexere und unberechenbare Epoche. Nichtstaatliche und unkonventionelle Kriegsformen werden dargestellt und die Veränderungen in der Art der Kriegführung erklärt. Ein weniger beachtetes Werk van Crevelds ist Aufstieg und Untergang des Staates (1999, bereits im selben Jahr in deutscher Übersetzung), in dem er einen umfassenden Überblick über die Entstehung des Staatswesens bietet und zeigt, daß dessen Rolle sich seit Ende des Kalten Krieges rasant wandelte. Er prognostiziert eine weitere Schwächung staatlicher Macht und die gleichzeitige Stärkung nichtstaatlicher Akteure.

»Macht geht immer noch aus Gewehrläufen hervor, in Anbetracht dieser Tatsache klingen alle Berichte über den unmittelbar bevorstehenden Niedergang des männlichen Geschlechts maßlos übertrieben.«

Die vehemente Ablehnung von Feministen und des linken Milieus überhaupt erfuhr er durch seine Werke Frauen und Krieg (2001) und Das bevorzugte Geschlecht (2003). Darin positioniert er sich offen gegen die Emanzipationsmythen der vergangenen Jahrzehnte und bietet erhebliche Beweise gegen die gesellschaftlich weitverbreitete Annahme, daß Frauen im Grunde über alle männlichen Fähigkeiten verfügten und lediglich durch eine gesellschaftliche Bevorzugung Letztgenannter am Aufstieg gehindert würden. Seine Kritiker monieren zwar sein »mittelalterliches Frauenbild«, bevorzugen es jedoch, sich der Sachdebatte zu entziehen, indem sie die faktische Grundlage seiner Thesen nicht anfechten.

In Kriegs-Kultur (The Culture of War, 2008) schildert van Creveld die veränderte Rolle des Krieges und dessen wechselseitige Beziehungen zu anderen gesellschaftlichen Faktoren, wie u. a. den Folgen der Pazifizierung in westlichen Staaten. Was andere Autoren als »postheroische« Verhaltensmuster bezeichnen und loben, zeigt van Creveld als potentiell zerstörerische Neigungen und Ausdruck militärischer Impotenz. Konnten »Krieger« in der Vergangenheit grundsätzlich davon ausgehen, daß sie für ihren Einsatz mit außergewöhnlichem Sozialprestige bzw. Anerkennung belohnt würden, neigen moderne Gesellschaften dazu, ihnen diese Anerkennung zu verweigern. Militärische Rituale, Symbole, Zeremonien, Literatur, Traditionen und Musik sind verpönt oder suspekt, werden bestenfalls belächelt, schlimmstenfalls bekämpft. Van Creveld weist darauf hin, daß ein Militär ohne eine »Kultur des Krieges« nicht nur mit der Niederlage, sondern mit der Auflösung konfrontiert sein wird.

Insgesamt sprechen van Crevelds Werke die Realisten an und erzeugen bei Idealisten Unbehagen. Die Kritik an seinen Aussagen wirkt oft wütend. Doch sein Fokus auf die Wirklichkeit, die Welt und den Menschen und darauf, wie sie waren und sind, sowie die reiche empirische Grundlage seiner Werke lassen die Gegenargumente vergleichsweise blaß erscheinen.

Schriften

  • Kampfkraft. Militärische Organisation und militärische Leistung 1939–1945, Freiburg i. Br. 1989 (zuletzt 2005).
  • Die Zukunft des Krieges, München 1998.
  • Aufstieg und Untergang des Staates, München 1999.
  • Frauen und Krieg, München 2001.
  • Das bevorzugte Geschlecht, München 2003.
  • Die Gesichter des Krieges. Der Wandel bewaffneter Konflikte von 1900 bis heute, München 2009.
  • Kriegs-Kultur. Warum wir kämpfen: Die tiefen Wurzeln bewaffneter Konflikte, Graz 2011.
Der Artikel wurde von Wiggo Mann verfaßt.