Helgoland

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In der Nordsee, vor der westfriesischen Küste

Helgoland gehört formell erst seit dem sogenannten Helgoland-Sansibar-Vertrag von 1890 zu Deutschland. Das Abkommen hatte das Reich mit Großbritannien geschlossen, seine Ansprüche auf ostafrikanische Territorien, darunter die Insel Sansibar, aufgegeben und im Gegenzug einige kolonialpolitische Zugeständnisse sowie die Hochseeinsel vor der deutschen Küste erhalten. In den Augen der Imperialisten jener Zeit – vor allem in den Reihen des Alldeutschen Verbandes – ein unverzeihlicher Fehler, tatsächlich eine Entscheidung, die sich langfristig zugunsten Deutschlands ausgewirkt hat: Überseebesitzungen hätten wir längst verloren, Helgoland ist uns geblieben, in vielem die »deutscheste« Insel.

Seit unvordenklicher Zeit von Friesen besiedelt, hat Helgoland eine turbulente politische Geschichte hinter sich: lange zum Herzogtum Schleswig gehörend und deshalb von Kopenhagen, der dänischen Hauptstadt aus, regiert, dann durch die Engländer im Zuge der napoleonischen Kriege besetzt und 1814 formell als Kolonie angegliedert. Damit waren die Helgoländer nicht die einzigen deutschen Untertanen der britischen Krone (auch Hannover gehörte durch Personalunion zu deren Machtbereich); am alltäglichen Leben der Insel änderte sich wenig. Der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgenommene Kur- und Ferienbetrieb machte die Insel rasch zum Anziehungspunkt für ein reiselustiges bürgerliches Publikum, das bevorzugt vom deutschen Festland kam. Heine (➞ Loreley) war darunter und bekanntermaßen Hoffmann von Fallersleben, der hier 1841 das »Lied der Deutschen« dichtete.

Die enge Verbindung Helgolands mit der Nationalbewegung (➞ Wartburg) wirkt deshalb so wenig zufällig, weil nicht nur die Rückkehr der Insel 1890 eine Welle patriotischer Begeisterung auslöste, die bis weit nach Süden reichte – Anton Bruckner komponierte aus dem Anlaß ein Chorwerk »Helgoland« –, sondern die Insel auch mit der Idee deutscher Seegeltung verknüpft wurde und immer als eine der besonders markanten Regionen Deutschlands galt. Das nutzte man wahlweise zur Werbung für den Tourismus oder heroische Stimmungen.

Kam die Insel nach dem Ersten Weltkrieg noch glimpflich davon, war ihr nach dem Zweiten ein Schicksal zugedacht, das als symbolisch für das der ganzen Nation gelten konnte: »Helgoland ist ›bedingungslose Übergabe‹ als Schulbeispiel. So hätte sie sich überall auswirken können, ja, logisch weitergedacht, auswirken müssen … Aus Helgoland konnte die Austreibung bis zum letzten gelingen. Sie gelang auch aus den Provinzen östlich der Oder- Neiße-Linie und dem Sudetenland. Auch aus dem Ruhrgebiet war sie vorgeschlagen, und seine Industrie, seine Kohlenschächte sollten, gemäß dem Programm der zweiten Konferenz von Quebec vom September 1944, das Los von Helgoland erleiden. Das war offensichtlicher Wahnwitz, und so unterblieb es. Aber Helgoland ist klein und sein Fortfall bedeutet nicht viel für die europäische Wirtschaft. Daher konnte sich der Plan von Quebec an ihm voll auswirken.« Die von den Briten geplante Zerstörung der Insel wäre Anwendung des »Morgenthau-Plans« im kleinen gewesen: den Deutschen ein ewiges Menetekel, den Siegern ein wirtschaftlich und moralisch weniger bedenkliches Exempel als die Umsetzung für das ganze Reichsgebiet.

Der zitierte Passus stammt aus dem offiziellen »Bericht«, den Hubertus Prinz zu Löwenstein nach der »friedlichen Invasion « Helgolands im Dezember 1950 durch einheimische Fischer, Studenten – auch aus der sowjetischen Zone –, einige Berufstätige und einen jungen Amerikaner veröffentlicht hat, und er zeigt, mit welcher Deutlichkeit und welcher Schärfe man damals noch die deutsche Lage beurteilen konnte. Daß Helgoland zwei Jahre später an die Bundesrepublik zurückgegeben wurde, die Royal Air Force auf weitere Übungsabwürfe verzichtete und man den Einwohnern die Heimkehr ermöglichte, wurde von der Bevölkerung mit einer Genugtuung zur Kenntnis genommen, die nur mit der bei der Wiedereingliederung des Saarlandes verglichen werden kann.

Es gehört zu den Seltsamkeiten der politischen Helgoland-Debatte am Anfang der fünfziger Jahre, daß sie sich mit einer anderen, wenn man so will: prähistorischen, überschnitt. Grund war der Erfolg des Buches Das enträtselte Atlantis, das 1953 von Jürgen Spanuth, einem evanglischen Geistlichen, veröffentlicht wurde. Spanuths These lautete kurz gefaßt, daß Helgoland und Atlantis identisch seien bzw., daß die Insel den verbliebenen Rest des sagenhaften Inselreiches bilde, das durch eine Naturkatastrophe vernichtet worden sei, die dessen Einwohner gezwungen habe, nach Süden zu ziehen, wo sie im Kontext der »dorischen Wanderung« Griechenland besetzt hätten und im Bündnis mit anderen »Seevölkern« bis in das Nildelta vorgedrungen seien. Eine Idee, die er mit einem erheblichen Maß an Spürsinn und Gelehrsamkeit begründete – etwa durch die Identifizierung des von Platon erwähnten Stoffes »Oreichalkos « mit dem Bernstein – und so nicht nur ein Massenpublikum fand, sondern auch heftigen Widerspruch auslöste und sogar die akademische Archäologie und Vorgeschichtsforschung zu Stellungnahmen zwang.

Trotz des Erfolgs von Spanuth blieb der Einfluß seiner Interpretation begrenzt. Eine besondere Bedeutung Helgolands in der Vergangenheit haben aber auch viele andere vermutet. Der Name wird gelegentlich auf ein altnordisches »Heligoland« für »heiliges Land« zurückgeführt und manchmal eine Beziehung zur »Basileia« also etwa »Königsinsel« hergestellt, von der ein griechischer Autor der Antike sprach, der über die germanischen Völker berichtete. Das alles führt aber in den Bereich der Spekulation und erhöht die Anziehungskraft der Insel nur um Weniges, die bis heute vor allem ein Reiseziel ist, wenngleich man die roten Felsen, die im Meer so schroff aufragen, kaum ohne innere Bewegung sehen kann.

Literatur

  • Heike Grahn-Hoek: Roter Flint und Heiliges Land. Helgoland zwischen Vorgeschichte und Mittelalter, Neumünster 2009.
  • Jürgen Spanuth: Das enträtselte Atlantis, Stuttgart 1953.
Der Artikel wurde von Karlheinz Weißmann verfaßt.