Gesunder Menschenverstand

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Gesunder Menschenverstand. Über Glücklichsein, Spaßhaben und Standhalten
Günter Zehm, Schnellroda: Edition Antaios 2009.

Die Nachschrift seiner ersten Jenaer Vorlesung versteht der Philosoph Günter Zehm als eine Anleitung, um »gediegen über die Runden zu kommen«. Er hielt sie kurz nach der deutschen Wiedervereinigung vor Studenten aus den neuen Bundesländern, die sich plötzlich völlig neu orientieren mußten. Zehm widersteht der Verführung, die westliche, westdeutsche Lebensweise und ihre Verheißungen im Moment ihres scheinbaren Siegeszugs anzupreisen. Statt dessen widmet er sich sachlich der Frage, warum es sinnvoll ist, dem gesunden Menschenverstand zu vertrauen. Das bedeutet für ihn: bescheiden sein; sich in Enthaltsamkeit üben; für Veränderungen bereit sein, aber sich selbst treu bleiben; dem Fortschritt mißtrauen; ehrgeizig sein, aber kein Karrierist werden; sich selbst beherrschen; Pläne statt Utopien schmieden sowie einen kritischen Abstand zur Politik wahren.

Diesen praktischen Ansatz faßt Zehm unter der Maxime »Man soll nichts übertreiben« zusammen. Er beruft sich dabei auf die Philosophen des common sense, insbesondere David Hume, Karl Raimund Popper sowie Hermann Lübbe und verteidigt den gesunden Menschenverstand gegen die zahlreichen, zeitgenössischen Verächter aus Philosophie und Naturwissenschaft. Der gesunde Menschenverstand mißtraut den Erkenntnissen der modernen Wissenschaft und setzt ihnen Lebenserfahrung und Alltagswissen entgegen. Auf diese Weise bildet er nicht zuletzt ein lebendiges Korrektiv zu Erkenntnissen, die in der Wissenschaft aus dem Kontext des Lebens herausgelöst sind und keinen Bezug zu Fragen des konkreten Lebens haben.

»Die Generaldevise des gesunden Menschenverstandes beim Handeln heißt nicht: »Geist und Glieder bewegen nach Schema F irgendeiner Utopie«, sie heißt: »Sich ändern, und sich trotzdem treu bleiben.««

Zehm legt somit keine systematische Philosophie des gesunden Menschenverstandes vor. Vielmehr konzentriert er sich darauf, aus den Erkenntnissen der Philosophie Antworten auf zeitlose Fragen des Alltags sowie Gegenwartsphänomene abzuleiten, die man ganz konkret im Leben beherzigen kann. Es geht ihm nicht um die streng logische Beantwortung der großen Fragen des Lebens, sondern um gründlich durchdachte Hinweise für das passable Auskommen in der gegenwärtigen Lage. Aus diesem Grund äußert sich Zehm auch zum Gutmenschentum, der Spaßgesellschaft und anderen »geistigen und sinnlichen, vor allem visuellen Zumutungen«, die heute dem Seelenhaushalt schadeten. Statt sich diesen jedoch grundsätzlich zu verweigern, plädiert er für ein »Höchstmaß an Übersicht und Urteilskraft«.

Der Artikel wurde von Felix Menzel verfaßt.