Frankfurt am Main – Paulskirche

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Der Bau der Paulskirche in Frankfurt am Main erfolgte nach Plänen des Stadtbaumeisters Andreas Liebhardt ab dem Jahr 1789. Er trat an die Stelle der gotischen Barfüßerkirche, die 1786 wegen Baufälligkeit abgerissen worden war. Der Stadtbaumeister Johann Georg Christian Hess setzte als Nachfolger Liebhardts eine klassizistische Überarbeitung der barocken Entwürfe seines Vorgängers durch. Erst unter seinem Sohn Johann Friedrich Christian Hess konnte das Werk 1833 vollendet werden. Geldmangel und Meinungsverschiedenheiten über die Entwürfe waren verantwortlich für die lange Dauer des Baues.

Auffallend ist die Anlehnung der Architektur an das römische Pantheon. Mit dem Motiv eines Zentralraumes, mit kassettierter Kuppel und einfallendem Oberlicht kam Johann Friedrich Christian Hess seinem antiken Vorbild nahe. Herausragend ist ferner das Motiv einer von Säulen getragenen Emporenbühne, die dem ovalen Grundriß der Kirche folgt. Gelegentlich äußerte man kritisch, der Turm würde vom mächtigen Schieferdach des Baukörpers optisch erdrückt. Auf breite Zustimmung stießen hingegen die wohlausgewogenen Proportionen des Gebäudes.

Die Kirche wurde 1833 der evangelischen Gemeinde als Hauptkirche übergeben. Mit einer Unterbrechung während der Versammlungen von 1848/49 wurde die Paulskirche bis zu ihrer Zerstörung bei einem Luftangriff auf Frankfurt 1944 als Gemeindekirche genutzt. Seit ihrem Wiederaufbau dient sie nur noch als Erinnerungsstätte.

Die Paulskirche eignete sich wegen ihrer Architektur als politischer Tagungsort. Positive Resonanz fand vor allem der lichtdurchflutete Innenraum. Eines der Ziele des älteren Hess war es, mittels der ovalen Form den Platz des Gotteshauses bestmöglich auszunutzen. Weiterhin formulierte er seine Hauptabsicht dahingehend, »den Prediger von jedem Patz aus zu sehen und zu verstehen«. Diese amphitheatralische Anordnung erwies sich als Vorteil auch für politische Veranstaltungen. In der Tat mischte sich ein »politischer Zug in die sakrale Gestaltung« (Dieter Bartetzko). Ab der Französischen Revolution wurde die Brauchbarkeit antiker Räumlichkeiten und Formen für moderne politische Gestaltung mehr und mehr entdeckt. Allerdings stellte das Plenum der Nationalversammlung 1848/49 auch Nachteile hinsichtlich des Ortes fest. Kritische Einwände gab es nicht zuletzt wegen der schlechten Akustik.

Daß die Paulskirche zum Mittelpunkt der vielgestaltigen, sogenannten »48er- Revolution« wurde, hängt natürlich mit den Vorzügen Frankfurts zusammen. Die Gründe für die Wahl dieser Stadt liegen auf der Hand. Zum einen zeichnete sich die Stadt wie keine zweite größere im deutschen Bund durch die bürgerlich-liberale Prägung der Bevölkerung aus. Diese korrelierte mit dem hohen Akademikeranteil der Abgeordneten aus allen Territorien Deutschlands. Darüber hinaus schien Frankfurt als Sitz des Bundestages und als frühere Stätte der Wahl und Krönung des Kaisers wie prädestiniert als Mittelpunkt der geplanten bürgerlichen Neuordnung der Verhältnisse.

Am 18. Mai 1848 wurde das erste frei gewählte deutsche Parlament feierlich eröffnet. Eine wesentliche Voraussetzung für das Zusammentreten war die weitverbreitete Stimmungslage im Volk, daß die traditionellen Schichten und Politiker nicht in der Lage seien, den gesellschaftlichen und sozialen Wandel zu bewältigen. Nach dem Wahlboykott böhmischer und mährischer Wahlkreise reduzierte sich die Zahl der Abgeordneten auf 585. Durchschnittlich nahmen 400 bis 450 von ihnen an den Sitzungen teil.

Kernstück der parlamentarischen Arbeit war der Entwurf einer Reichsverfassung für ganz Deutschland. Als Vorbild dienten insbesondere die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 und die Erklärung der Menschenrechte von 1789. Doch auch eigenständige Züge des Konzepts sind unübersehbar. Bis heute gelobt wird der Grundrechtekatalog mit seinen Ausführungen zur persönlichen Freiheit, rechtlichen Gleichheit, Selbstverwaltung der Gemeinden und zu den einzelstaatlichen Verfassungsordnungen.

Zu den früh erkennbaren und kaum lösbaren Problemen, die in der Paulskirche debattiert wurden, gehörte neben der Nationalitätenfrage – großdeutsche oder kleindeutsche Variante – die Entscheidung über die künftige Staatsform. Sollte Deutschland eine Republik oder eine konstitutionelle Monarchie werden? Die Überlagerung solcher komplexen Fragen erschwerte eine Einigung. Ein Desiderat blieb, nicht nur nach Auffassung der marxistischen Revolutionshistorie, die »sociale Frage«. Man erzielte 1849 einen Kompromiß: Die Demokraten akzeptierten mehrheitlich das preußische Erbkaisertum, die Liberalen wiederum das demokratische Wahlrecht. Ziel war eine konstitutionelle Ordnung, die mehrheitliche Zustimmung bei der Bevölkerung finden sollte.

1849 wurde die Versammlung von reaktionären Kräften auseinandergetrieben und mußte nach Stuttgart ausweichen. Wie in anderen europäischen Ländern läßt das Scheitern der Revolution von 1848/49 ein ganzes Bündel von Ursachen erkennen. Dazu zählen die Uneinigkeit der revolutionären Kräfte, das heißt die Spaltung von bürgerlich-liberalen und sozialrevolutionär- linken Kräften, die wirtschaftlichen Krisenverhältnisse, aber auch das entschlossene Handeln monarchisch-gegenrevolutionärer Akteure, vor allem die Ablehnung der Kaiserkrone durch König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen.

Das Nachleben der Paulskirchenversammlung wurde in den letzten Jahren ausgiebig diskutiert. Die liberale Tradition rückte die Arbeiten am Verfassungsentwurf in den Mittelpunkt späterer Erinnerung, die sozialdemokratische hingegen die revolutionären Barrikadenkämpfe. Die Reichsgründung von 1871 (➞ Versailles) galt den dominanten Eliten konservativer und nationalliberaler Prägung als Erfüllung der nationalen Anliegen seitens patriotischer Abgeordneter in Frankfurt. Auch Teile des Bürgertums machten sich die konservative Sichtweise zu eigen: nämlich das Schreckbild des gewalttätigen Aufstandes und den Widerstand der ordnungsliebenden Mächte gegen derartige Umsturzpläne. Eine andere Perspektive wählte die linksliberale Seite. Sie versuchte die Paulskirche und die Reichsverfassung als Symbol der Freiheit zu bewahren.

Zu Beginn der Weimarer Republik bezogen sich einige ihrer höheren Repräsentanten, etwa Hugo Preuß, auf das Erbe des Paulskirchenparlaments. 1923 sind einige Reden zum 75jährigen Jubiläum zu verzeichnen. So rief vor allem Reichspräsident Friedrich Ebert freiheitliche Traditionen aus der 48er-Zeit in Erinnerung. Die Nationalsozialisten vereinnahmten die Kämpfer von 1848 als nationalistische Idealisten. Besonders der Anschluß Österreichs 1938 wurde als Erfüllung jener großdeutschen Forderungen verstanden, die neun Jahrzehnte vorher erhoben worden waren.

Intensivere Anknüpfungspunkte an 1848 gab es 1948 im Vorfeld der Gründung der Bundesrepublik. So erregte in starkem Maß das Berliner Revolutionsgedenken zur Hundertjahrfeier Aufmerksamkeit. Dieses fand in der »Frontstadt« (➞ Berliner Mauer) an der Nahtstelle zwischen Ost und West statt. Es kam zum Kampf um die Deutungshoheit der Ereignisse zwischen westlichen Bürgerlichen, Sozialdemokraten und der SED. Die Paulskirche wurde wieder aufgebaut und zur Gedenkstätte umfunktioniert. Neuere Forschungen, etwa von Claudia Klemm, haben Versuche hervorgehoben, die Feierlichkeiten zum Centennium mit einer deutlicheren europäischen Ausrichtung als früher üblich zu gestalten.

Das traf 50 Jahre später um so stärker zu. Mit einer Welle von Gedenkveranstaltungen (einschließlich einer Fülle von Publikationen) feierte das wiedervereinigte Deutschland 1998 den 150. Jahrestag der Revolutionsgeschehnisse. Zentrale Feierlichkeiten fanden in Frankfurt wie Berlin statt. Wieder einmal zeigte sich: Die Erinnerung an die Paulskirchenversammlung war immer dezidiert bestimmt von den jeweiligen zeitgeschichtlichen Umständen, so daß sich feststellen läßt, trotz diverser Konstanten sei der »Wandel das entscheidende Charakteristikum des Gedenkens« (Claudia Klemm).

Literatur

  • Wolfram Siemann: Die deutsche Revolution von 1848/49, Frankfurt a. M. 1985-
  • 1848. Revolution in Deutschland, hrsg. Christof Dipper u. Ulrich Speck, Frankfurt a. M./Leipzig 1998.
  • Claudia Klemm: Erinnert – umstritten – gefeiert. Die Revolution von 1848 in der deutschen Gedenkkultur, Göttingen 2007.
Der Artikel wurde von Felix Dirsch verfaßt.