Bauer

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Bauer bezeichnet jeden, der durch das Bebauen des Bodens wirtschaftet. Nach der »Neolithischen Revolution« (Vere Gordon Childe), zwischen 20.000 und 12.000 vor Christus, konnte sich diese Lebensweise praktisch universal durchsetzen, da sie half, die Ernährung einer wachsenden Zahl von Menschen sicherzustellen. Das Bauerntum bildet insofern die Grundlage aller entwickelten Kulturen.

Das Bauerntum löste die ältere Existenz der Jäger und Sammler weitgehend ab und schuf eine Gesellschaftsordnung, die wesentlich stärker durch Organisation und Hierarchisierung bestimmt war, und einen Typus hervorbrachte, der sein Verhalten an Verantwortlichkeit und Zukunftsvorsorge ausrichtete. Für die Nomaden war das immer mit einem inakzeptablen Verlust an Freiheit verbunden; Mohammed wird der Satz zugeschrieben: »Mit dem Pflug kam die Knechtschaft ins Haus.«

»Die objektiven, stationären und übergreifenden Gefüge der Ernährung des Menschen und der Fortpflanzung der Tiere und Pflanzen miteinander zu kombinieren, den Zweck der Natur im Dasein und Gedeihen des Belebten zum eignen Zweck zu machen – das waren großartige Entwicklungen.«

Man hat deshalb dem Bauerntum eine ausgeprägt konservative Haltung nachgesagt. Die tiefste Ursache dafür liegt in der Gebundenheit des Bauern an seinen Boden einerseits, im Bewußtsein von der Abhängigkeit gegenüber der Natur andererseits. Beides bedingt eine Geisteshaltung, die auf Erfahrung gründet, skeptisch ist und zur Bewahrung neigt.

Obwohl es seit der Antike immer wieder Bauernaufstände gegeben hat, die revolutionsartige Züge annehmen konnten, stützt das Bauerntum im allgemeinen die bestehenden Verhältnisse. Anteilnahme an deren aktiver Gestaltung nahm es nur selten. Es gab zwar im Mittelalter bäuerliche Ständevertretungen und einige Beispiele für »Bauernrepubliken«, etwa der Stedinger, der Ostfriesen, in einem gewissen Sinn auch der ländlichen schweizerischen Kantone sowie der Isländer, aber das waren historisch und geographisch begründete Ausnahmen. Die Neigung, sich auf den eigenen Bereich im engeren Sinn zu beschränken, blieb immer ausgeprägt. Das wird man auch im Hinblick auf die Bauernparteien und »Landvolkbewegungen« des 19. und 20. Jahrhunderts feststellen können, die zwar fallweise eine erhebliche Stärke gewannen, auch den Gegensatz von Stadt und Land mobilisierten, aber insgesamt keinen nachhaltigen Einfluß auf die politische Entwicklung ihrer Länder nehmen konnten.

Ein Grund dafür waren auch die großen sozialen Unterschiede innerhalb des Bauerntums, dessen Spektrum alles – vom Kleinbauern bis zum Großgrundbesitzer – umfaßte und dessen einzelne Gruppen sich in gesellschaftlichen Konflikten je nachdem mit Bürgertum oder Adel verbündeten oder verfeindeten.

»Der Gebildete mag konservativ gesinnt sein aus Vernunftgründen, der Bauer ist es kraft seiner Sitte.«

Wilhelm Heinrich Riehl

Arnold Gehlen hat die Neolithische Revolution als erste, die Industrielle Revolution als zweite »absolute Kulturschwelle« bezeichnet, das heißt, im einen wie im anderen Fall sah sich die Menschheit gezwungen, ihre Existenz auf eine neue Basis zu stellen: von der Lebensweise als Jäger und Sammler zu der des seßhaften Bauern und Viehzüchters, dann von dieser zu der des Arbeiters, Angestellten, Dienstleisters, Unternehmers etc. der modernen technischen Zivilisation. Die Bedeutung des Bauerntums ist bei diesem Prozeß dramatisch zurückgegangen, begleitet von Verstädterung, Industrialisierung der landwirtschaftlichen Produktion, Auflösung der dörflichen Sozialgefüge und der bäuerlichen Sitte.

Versuche, das durch bewußte Kulturpflege zu verhindern, sind praktisch immer erfolglos geblieben. Trotzdem konnte das Bauerntum Teile seiner Funktion als »Urstand« (Oswald Spengler) bewahren. Das hängt nicht nur mit dem ökologischen Bewußtsein (Umwelt) zusammen, sondern auch mit Erwägungen über die Rolle nachwachsender Rohstoffe für die Energiewirtschaft oder die Bedeutung eines gewissen Maßes an Grundversorgung mit Lebensmitteln, das im eigenen Land sichergestellt werden soll.

Literatur

  • Ernest Gellner: Pflug, Schwert und Buch, Stuttgart 1990.
  • Wilhelm Heinrich Riehl: Die Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Social-Politik, 4 Bde, Stuttgart 1892-97.